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Finanzdienstleistungen – Historisches Lexikon
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Finanzdienstleistungen

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Autor: Christoph Maria Merki | Stand: 31.12.2011

Die liechtensteinische Volkswirtschaft wird stark durch die Finanzdienstleistungen geprägt. Solche erbringen die Banken, die Investmentunternehmen, das Treuhandwesen und die Rechtsberater sowie die Versicherungen. Der Wirtschaftssektor der Finanzdienstleistungen ist ausgesprochen wertschöpfungsintensiv. Im Jahr 2000 erbrachte er mit 1,3 Mia. Fr. 30 % des liechtensteinischen Bruttoinlandsprodukts, beschäftigte 2002 mit 3925 Personen aber nur 14 % der Erwerbstätigen. Zudem kommt er für einen grossen Teil (etwa einen Drittel) der liechtensteinischen Steuereinnahmen auf. Das Fürstentum Liechtenstein wird oft als «Finanzplatz» bezeichnet, obwohl ihm hierfür eine eigene Börse und eine eigene Währung (→ Geld) fehlen; die liechtensteinische Währungshoheit wird de facto von der Schweizerischen Nationalbank ausgeübt.

Die Entwicklung der liechtensteinischen Staatsfinanzen beruhte im 20. Jahrhundert zu grossen Teilen auf der Nutzung der seit 1806 bestehenden liechtensteinischen Souveränität als Standortvorteil. Dazu gehörte etwa der Verkauf eigener Briefmarken an ausländische Sammler oder die Verleihung der liechtensteinischen Staatsbürgerschaft gegen hohe Gebühren in den 1920er–40er Jahren (→ Finanzeinbürgerungen). Von besonderer Bedeutung war langfristig die Gesetzgebungs- und Steuerhoheit: Mit niedrigen Steuern und einem speziellen Handelsrecht konnten ausländische Kapitalien akquiriert werden. Diese Idee entsprang der wirtschaftlichen Not um 1920.

Die Anfänge

Nach dem Ersten Weltkrieg lag Liechtenstein wirtschaftlich am Boden. Sowohl dem Staat als auch den privaten Haushalten drohte der Kollaps. In den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie, mit der Liechtenstein seit 1852 durch einen Zoll- und seit 1857 durch einen Münzvertrag verbunden war, entwertete eine Hyperinflation alle in Kronen angelegten Vermögen. 1919 kündigte Liechtenstein den Zollvertrag mit Österreich und orientierte sich neu in Richtung Schweiz. Der Schweizer Franken trat an die Stelle der österreichischen Krone. 1920 wurde neben der 1861 gegründeten Liechtensteinischen Landesbank ein zweites Geldinstitut zugelassen: die Bank in Liechtenstein BiL (→ LGT Bank in Liechtenstein). Für die ausländischen Investoren, die hinter der Gründung der BiL standen, ging es um die Rettung gefährdeter Vermögen aus dem zusammenbrechenden Kronenraum. Die BiL betreute auch die ersten Holdinggesellschaften: Unternehmen, die durch den Zerfall der Habsburgermonarchie auf mehrere Staaten zersplittert waren, wurden unter einem neuen, liechtensteinischen Dach zusammengefasst.

1921 wurde die sogenannte Pauschalierung eingeführt. Dadurch kamen ausländisch beherrschte Gesellschaften, die in Liechtenstein selbst geschäftlich nicht aktiv werden durften, in den Genuss einer fiskalischen Vorzugsbehandlung. Ihr jährlicher Steuerbetrag wurde für Jahrzehnte im Voraus festgelegt («pauschaliert»). 1923 führte Liechtenstein ein neues, vom Basler Ökonomen Julius Landmann entworfenes Steuersystem ein. Es orientierte sich an den Steuergesetzen einiger Ostschweizer Kantone, in denen die Domizilgesellschaft seit Längerem privilegiert waren. Holding- und Sitzunternehmen (sogenannte Briefkastenfirmen) wurden von der Ertragssteuer befreit und mussten nur eine minimale Kapitalsteuer entrichten (→ Steuern und Abgaben). Die Gewinne, die bei den liechtensteinischen Sitzunternehmen zusammenkamen, blieben damit steuerfrei. Flankiert wurden diese Steuerprivilegien durch ein liberales Handelsrecht, das vom Politiker und Wirtschaftsanwalt Wilhelm Beck entworfene Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) der Jahre 1926 und 1928. Mit dem PGR stellte Liechtenstein den ausländischen Anlegern eine Palette von juristischen Personen zur Verfügung: die Anstalt oder die Aktiengesellschaft, die Stiftung oder den Trust. Besonders origenell war das PGR da, wo es Unternehmensformen einführte, die man vorher so nicht gekannt hatte. Nicht nur bei der rechtlichen Ausgestaltung der Gesellschaft, auch bei dem Gründungsprozedere und in administrativer Hinsicht kam man den Investoren entgegen.

Mit dem PGR und der Steuergesetzgebung waren die Fundamente für die Entwicklung der Finanzdienstleistungen gelegt. Die nun nach Liechtenstein strömenden Kapitalien wurden fast nie im Land selbst angelegt, sondern in Vaduz lediglich treuhänderisch verwaltet. Meistens brachte man das Geld via BiL bei Schweizer Banken unter. Noch heute leben das liechtensteinische Treuhandwesen und die Schweizer (Gross-) Banken in einer symbiotischen Beziehung: Die Banken vermitteln die Kunden und vermehren deren Vermögen, während Vaduz die dafür optimalen Sitzstrukturen zur Verfügung stellt.

Die Zahl der liechtensteinischen Sitzunternehmen erhöhte sich zuerst langsam, um nach der Einführung des PGR auf etwa 1000 hochzuschnellen. Die wirtschaftlich Berechtigten, die hinter den Gründungen standen, stammten schon in den 1920er Jahren v.a. aus Deutschland, wo die Steuerlast wegen der Reparationszahlungen an die Alliierten wuchs. Auch die Angst vor Sozialisierungsmassnahmen und dem Kommunismus veranlasste das Bürgertum Mitteleuropas, sein Vermögen ausser Landes zu bringen. Die Weltwirtschaftskrise und die ihr folgenden Autarkiebestrebungen der europäischen Nationalstaaten liessen den Zustrom an Geldern versiegen. In den 1930er Jahren führte zudem die deutsche Presse mit Unterstützung der deutschen Regierung eine heftige Kampagne gegen Liechtenstein, dem u.a. Begünstigung der Steuerflucht vorgeworfen wurde. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich 1938 schien die Eigenständigkeit Liechtensteins gefährdet; zahlreiche Sitzunternehmen verliessen das ihnen nun nicht mehr so sicher scheinende Liechtenstein

Im Zweiten Weltkrieg gewährten die beiden Banken Kredite für Industrieexporte nach Deutschland und unterhielten (wie auch verschiedene Treuhänder) Geschäftskontakte zu Kunden aus dem Dritten Reich und zu Personen, die sich auf den Schwarzen Listen der Alliierten befanden. Auch einige liechtensteinische Geschäftsleute und Firmen gelangten 1942–44 zeitweilig auf diese Listen. Hingegen spielten die Banken weder eine wesentliche Rolle als Devisendrehscheibe für das Dritte Reich oder als Zufluchtsort für NS-Gelder noch waren sie in den Goldhandel oder andere Finanzoperationen zugunsten Deutschlands involviert. Sitzgesellschaft wurden 1941–44 teilweise zur Abwicklung und Finanzierung problematischer. oder illegaler Geschäfte mit Deutschland, zur Tarnung von Vermögenswerten und zur Verschleierung von Besitzverhältnissen genutzt. 1945 übernahm Liechtenstein die schweizerischen Beschlüsse zur Sperre deutscher Vermögenswerte und 1946 das Washingtoner Abkommen, das die Schweiz mit den Alliierten ausgehandelt hatte.

Der Boom der Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das liechtensteinische Gesellschaftswesen ein enormes Wachstum, das durch diverse Gründe angeheizt wurde: wirtschaftliche Erholung nach dem Krieg, Entstehung grosser, internationaler mobiler Vermögen, Abbau von Devisenkontrollen, Erhöhung des Steuerdrucks in den umliegenden Staaten, Anziehungskraft des harten Schweizer Frankens, attraktive Konditionen der liechtensteinischen Anbieter, technische Erleichterungen wie Fernschreiber, Telefax oder elektronischer Zahlungsverkehr. In den 1990er Jahren gab es schliesslich 70 Mal mehr Sitzunternehmen als in den 1930er Jahren. 1995 hatte die Hälfte von ihnen die rechtliche Form einer (Familien-)Stiftung, was zeigt, wo der Schwerpunkt des liechtensteinischen Treuhandwesens lag (und liegt): auf der Betreuung ausländischen Familienvermögens. Marktführer wie die Präsidial-Anstalt, das Allgemeine Treuunternehmen und die Kanzlei Marxer & Partner verwalteten Tausende von Sitzunternehmen.

Damit in engem Zusammenhang stand die Gründung der dritten liechtensteinischen Bank, der Verwaltungs- und Privatbank 1956. Zu einer Gründungswelle bei den Banken kam es in den 1990er Jahren, besonders nach dem Beitritt Liechtensteins zum EWR 1995. Der EWR eröffnete auch neue Geschäftsfelder für Versicherungen und Investmentunternehmen, die zur Diversifizierung der Finanzdienstleistungen beitrugen. 2008 bestanden 363 inländische Fonds mit einem Gesamtvolumen von 26,4 Mia. Fr. sowie 219 ausländische Fonds. Vom Sektor der Finanzdienstleistungen profitieren auch Berufsgruppen wie Wirtschaftsprüfer, (Steuer-)Beamte und Hoteliers.

Der Finanzplatz unter Druck

2001/02 schrumpfte die Zahl der Sitzunternehmen erstmals seit einem halben Jahrhundert. Dies war eine Folge der allgemeinen Krise der Finanzmärkte, dürfte aber auch mit dem international verschärften Kampf gegen Steuerflucht und Finanzkriminalität zusammenhängen, der zur Wiederbelebung der Kritik an den liechtensteinischen Finanzdienstleistungen führte: Zum einen wurde Liechtenstein von den Hochsteuerländern als «Steueroase» betrachtet, die einen «schädlichen Steuerwettbewerb» praktiziere, und zum anderen wurde Liechtenstein vorgeworfen, es unternehme zu wenig gegen den Missbrauch seiner Finanzdienstleistungen durch die organisierte Kriminalität (Geldwäscherei).

Im Steuerbereich steht Liechtenstein seit 2000 unter dem Druck entsprechender OECD- und EU-Initiativen. Unter Hinweis auf seine Steuerhoheit verteidigte Liechtenstein sein Steuersystem und das Bankkundengeheimnis, schloss aber mit der EU 2004 gleichzeitig ein Abkommen über die Besteuerung grenzüberschreitender Zinszahlungen (Zinsertragsbesteuerung) und weitete 2008/09 die Steuerkooperation mit einzelnen EU-Staaten aus.

Zudem hatte Liechtenstein schon 1963 die Steuerpauschalierung beendet und die Pflicht zur Einsetzung eines im Inland wohnhaften, verantwortlichen Gesellschaftsvertreters eingeführt. Ab 1968 wurden die beruflichen Standards für Anwälte und Treuhänder erhöht. Nach Skandalen wie dem Chiasso-Skandal 1977 versuchte Liechtenstein verstärkt, kriminelle Gelder fernzuhalten und Missbräuche zu verhindern. Eine Reform des Gesellschaftsrechts brachte 1980 u.a. strengere Buchführungs-, Publizitäts- und Verantwortlichkeitsbestimmungen. 1977 verpflichteten sich die Banken und der Bankenverband durch eine mit der Regierung geschlossene Sorgfaltspflichtvereinbarung, keine aktive Beihilfe zu illegalem Kapitaltransfer und zu Täuschungsmanövern der Kunden gegenüber in- und ausländischen Behörden zu leisten. Deren Neufassung 1989 bezog auch die Treuhänder ein. 1996 wurde die Sorgfaltspflicht gesetzlich geregelt und an die Erfordernisse des EWR angepasst (Totalrevision 2005). 1995 übernahm Liechtenstein die erste Geldwäschereirichtlinie der EU in sein Recht, 2005 die zweite. Aufgrund der sogenannten Finanzplatzkrise erfolgten 2000/01 eine Verschärfung des Sorgfaltspflichtgesetzes und der Geldwäschereibestimmungen, eine Erleichterung der Rechtshilfe in Strafsachen sowie ein Ausbau der Gerichte, der Staatsanwaltschaft, der Finanzpolizei und der Finanzmarktaufsicht. 2005 wurde eine integrierte, unabhängige Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) geschaffen.

2008 geriet der Finanzplatz im Zug der Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten erneut in eine tiefe Krise. Im Februar 2008 gelangten zudem gestohlene Kundendaten der LGT Bank in Liechtenstein über Vermittlung des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) in die Hände der deutschen Finanzbehörden (Zumwinkel-Affäre). Die liechtensteinische Regierung beschloss, künftig auch in Steuerhinterziehungssachen stärker mit ausländischen Staaten, namentlich mit Deutschland, zusammenzuarbeiten. Noch 2008 wurde mit der EU ein Betrugsbekämpfungsabkommen und mit den USA ein Abkommen über einen Informationsaustausch in Steuersachen geschlossen. Im März 2009 kündigte die liechtensteinische Regierung an, den OECD-Standard in Steuerfragen einhalten und entsprechende Abkommen abschliessen zu wollen. Trotz teilweisem Widerstand aus Treuhänderkreisen ging diese Entwicklung schnell und ohne grössere innenpolitische Verwerfungen vonstatten. Seither wurde eine ganze Reihe von Steuerinformations- und Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten abgeschlossen.

Quellen

Literatur

  • Christoph Maria Merki: Wirtschaftswunder Liechtenstein. Die rasche Modernisierung einer kleinen Volkswirtschaft im 20. Jahrhundert, Zürich/Triesen 2007, S. 136–179.
  • Hanspeter Lussy, Rodrigo López: Finanzbeziehungen Liechtensteins zur Zeit des Nationalsozialismus, 2 Bände, Vaduz/Zürich 2005 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Studie 3).
  • Aktuelle Themen zum Finanzplatz Liechtenstein. Mit Beiträgen zum Stiftungsrecht, Rechtshilfe- und Sorgfaltspflichtrecht, hg. von Marxer & Partner Rechtsanwälte, Vaduz 2004.
  • Christoph Maria Merki: Von der liechtensteinischen Landkanzlei zur internationalen Finanzberatung. Die Anwaltskanzlei Marxer & Partner und der Finanzplatz Vaduz, Baden 2003.
  • Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928-1939, Vaduz/Zürich 22000.

Zitierweise

Christoph Maria Merki, «Finanzdienstleistungen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: https://historisches-lexikon.li/Finanzdienstleistungen, abgerufen am 24.10.2024.

Medien

Holding- und Sitzunternehmen in Liechtenstein, 1921-2006
 
     
 








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