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Vereine – Historisches Lexikon
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Vereine

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Autor: Klaus Biedermann | Stand: 31.12.2011

Vereine sind auf Dauer angelegte, körperschaftlich organisierte Personenvereinigungen, die z.B. kulturelle, sportliche, politische oder wissenschaftliche, in aller Regel aber nichtwirtschaftliche Zwecke verfolgen, vom Wechsel der Mitglieder unabhängig sind und deren Wirken durch schriftliche Statuten geregelt wird. Die Mitgliederversammlung, welche in regelmässigen Abständen aus ihren Reihen einen Vorstand wählt, ist oberstes Organ eines Vereins. Das Vereinsrecht (Vereinsfreiheit) wird durch die liechtensteinische Verfassung von 1921 gewährleistet und durch das Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) von 1926 näher geregelt. Der Eintrag ins Öffentlichkeitsregister ist für Vereine freiwillig, ausser wenn sie für ihre Zwecke ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben.

Die Geschichte der Vereine in Liechtenstein beginnt 1862. Die damals erlassene, konstitutionelle Verfassung schuf erstmals den rechtlichen Rahmen für ein Vereinsrecht. Fortan war es den Bewohnern des Landes gestattet, Vereine zu gründen. Vereinen ähnelnde Vereinigungen gab es jedoch schon zuvor. Ins 18. Jahrhundert datieren erste Hinweise auf Kirchenchöre (1721 Vaduz), Musikantengruppen (1726 Vaduz) und Schützenvereine (1794 Eschen). Zur Gründung eigentlicher Vereine kam es jedoch erst unter den freiheitlicheren Verhältnissen nach 1862.

Die ersten liechtensteinischen Vereine widmeten sich v.a. der Bildung, Kultur und Musik in den Gemeinden. Schon 1861 entstand ein Leseverein in Vaduz, dem 1871 in Triesen und 1912 in Triesenberg vergleichbare Vereine folgten. Junge Arbeiter und Handwerker gründeten 1862 in Triesen den ersten Theaterverein, ein weiterer folgte 1884 in Schaan. Die Aufführung von Theaterstücken war und ist auch bei anderen Vereinen beliebt (→ Theater). Zwischen 1862 (Triesen) und 1921 (Schellenberg) wurden die zehn liechtensteinischen Blasmusikvereine gegründet. Von 1865 (Gamprin) bis 1898 (Triesenberg) kamen dazu in fast allen Gemeinden Kirchenchor- oder Gesangvereine, nur in Mauren (1921) und Planken (1979) war dies erst im 20. Jahrhundert der Fall.

Ebenfalls alt ist die Vereinsbildung im Feuerschutzwesen: Die aufgrund der Feuerlöschordnung von 1865 geschaffenen Zwangsfeuerwehren wurden zwischen 1867 (Eschen) und 1922 (Balzers) sukzessive durch vereinsmässig organisierte freiwillige Feuerwehren abgelöst; Nachzügler war 1962 wiederum Planken.

Im Zug der Industrialisierung wuchs das Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Sport. So kam es in den Industriegemeinden Vaduz (1886) und Triesen (1890) zur Gründung erster Turnvereine. Die heutigen Turnvereine sowie die Fussballclubs entstanden ab 1932, ab 1934 folgten die Skiclubs. Neben den ersten Tennisclub in Vaduz (1925) traten in den 1960er und 70er Jahren sechs weitere. Der erste Leichtathletikclub entstand Anfang der 1940er Jahre in Vaduz. Die zunehmende Popularität weiterer Sportarten wie Judo, Volleyball, Tischtennis oder Badminton etc. brachte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechende Vereine hervor.

Die in allen Gemeinden ausser Planken und Triesenberg zwischen 1898 und 1919 gegründeten Radfahrerclubs bezweckten nicht den Sport, sondern die Förderung des Fahrrads als Verkehrsmittel. Ab etwa 1930 aufgekommene Verkehrsvereine fördern den Tourismus in den Gemeinden.

Die ab 1931 in den meisten Gemeinden ins Leben gerufenen Pfadfinder und Pfadfinderinnen sind die grösste Jugendorganisation in Liechtenstein; sie spielten vor und während dem Zweiten Weltkrieg auch eine politische Rolle. Die Dienstleistungsgesellschaft verhalf den Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu mehr Freizeit. So entstanden weitere Freizeitvereine wie Familiengärtnervereine oder Minigolfclubs etc. Der Pflege des Brauchtums widmen sich u.a. die Trachtenvereine, Funkenzünfte, der Verein der Krippenfreunde und während der Fasnacht die «Guggamusiken» und Narrenzünfte. Ausdruck individueller Lebensgestaltung sind der «Sackuhren-Club» oder der «Heiratsmuffelclub» (beide in Mauren). Wichtige soziale Leistungen erbringen die in den Gemeinden 1956–63 als Vereine konstituierten Familienhilfen und die 1951–73 entstandenen Samariterverein. Besonders im Liechtensteiner Unterland sind viele Vereine gemeindeübergreifend, z.B. die Samariter und mehrere Sportvereine.

Von der katholischen Kirche in den Pfarreien initiierte Vereine waren im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Marianischen Kongregationen und Jungmannschaften, die im Bereich der christlichen Bildung und Freizeitgestaltung der katholischen Jungfrauen und Jungmänner aktiv waren, sowie die Frauen- und katholischen Müttervereine, die u.a. das kirchliche Leben mitgestalteten und sich karitativen Aufgaben widmeten. Auch der liechtensteinische Caritas-Verein entstand 1924 auf kirchliche Initiative. Eine Reaktion auf die Errichtung des Erzbistums Vaduz 1997 war die Gründung des Vereins für eine offene Kirche 1998. Mit Ausnahme der katholischen Kirche sind in Liechtenstein alle Religionsgemeinschaften als Vereine organisiert, besonders auch die evangelischen Kirchen.

Auf Landesebene entstanden erste Vereine ebenfalls in den Jahrzehnten um 1900. Der 1885 gegründete Landwirtschaftliche Verein (→ Liechtensteiner Bauernverband) förderte u.a. durch Vorträge und ein Mitteilungsblatt die Vieh- und Bienenzucht, den Acker-, Obst- und Weinbau. Er war um 1900 der grösste liechtensteinische Verein (rund 400 Mitglieder). Seit 1901 widmet sich der Historische Verein für das Fürstentum Liechtenstein der Erforschung der liechtensteinischen Geschichte und Landeskunde. Der 1909 als Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins gegründete und 1946 verselbständigte Liechtensteiner Alpenverein war 2007 mit 2249 Mitgliedern der grösste liechtensteinische Verein; er fördert u.a. das Bergsteigen, ist aber auch im Pflanzenschutz aktiv.

Auch im Bereich der Kultur bestehen Vereine mit landesweiter Ausstrahlung, so etwa die Operettenbühnen Vaduz (seit 1940, als Verein seit 1962) und Balzers (seit 1946, Verein seit 1973), die 1975 gegründete Liechtensteinische Kunstgesellschaft, der 1979 gegründete Verein Tangente oder der 1993 gegründete Filmclub Frohsinn. Eine ausdrücklich überregionale Ausrichtung hat z.B. der 1977 gegründete Orchesterverein Liechtenstein-Werdenberg.

Bei vielen Dorf- und Landesvereinen haben die ehrenamtliche Freiwilligenarbeit und das gesellige Vereinsleben grosses Gewicht. Andere, oft auf einen sozialen, politischen oder sonstigen gesellschaftlichen Zweck bezogene Vereine sind stärker professionalisiert. Als Vereine organisiert sind etwa die ab 1918 entstandenen politischen Parteien sowie viele Verbände und berufsständische Organisationen (z.B. der Liechtensteiner Behinderten-Verband und die Liechtensteinische Industrie- und Handelskammer). Auch die in Liechtenstein wohnhaften Ausländer schlossen sich zu rund 25 Ausländervereinen zusammen, so 1948 die Schweizer. Ab den 1960er Jahren entstanden vermehrt Vereine, die sich für soziale Gerechtigkeit, die Hilfe zugunsten Benachteiligter und die Bewahrung der Umwelt engagierten. Beispiele sind der in der Entwicklungszusammenarbeit tätige Verein Welt und Heimat (1965), der Verein für Heilpädagogische Hilfe (1967) (→ Heilpädagogisches Zentrum), die Liechtensteinische Gesellschaft für Umweltschutz (1973) oder der 1980 als Sektion des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) gegründete Verkehrs-Club des Fürstentums Liechtenstein. 1984, im Jahr der landesweiten Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts, entstand der Verein Bildungsarbeit Frau. 1989 folgten der Liechtensteinische Tagesmütterverein, der Verein Kindertagesstätten sowie der Verein für Betreutes Wohnen. Im Forschungs- bzw. Bildungsbereich tätige Vereine sind etwa das 1986 gegründete Liechtenstein-Institut und das 1999 geschaffene Seniorenkolleg Liechtenstein.

Die frühen Vereine zwischen 1862 und 1914 waren fast reine Männerdomänen. Aus Deutschland kommendes patriotisches Liedgut und Bedenken der Bischöfe bewirkten zudem, dass nach 1900 – mit Ausnahme von Vaduz und Gamprin – alle gemischten Kirchenchöre aufgelöst wurden; erst ab den 1960er Jahren fanden Frauen wieder Aufnahme in die von Männern dominierten Chöre und Musikvereine. Ein weiteres Merkmal der liechtensteinischen Vereinslandschaft war die meist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene, z.T. weit darüber hinaus anhaltende parteipolitische Durchdringung mancher Vereine. Ein Beispiel dafür ist etwa die 1930 erfolgte Spaltung des Eschner Musikvereins in die «Musikkapelle» (Volkspartei-Anhänger) und die «Bürgermusik» (FBP-Anhänger); 1946 erfolgte die Wiedervereinigung zur «Harmoniemusik».

Die Zahl von 530 Vereinen auf 30 000 Einwohner im Jahr 1996 zeigt die grosse Bedeutung der Vereine für das soziale, gesellschaftliche und kulturelle Leben. Dementsprechend werden die Vereine unter bestimmten Voraussetzungen durch die Gemeinden und den Staat finanziell gefördert.

Literatur

Zitierweise

Klaus Biedermann, «Vereine», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: https://historisches-lexikon.li/Vereine, abgerufen am 24.10.2024.

 
     
 








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