Croissant, Klaus 

Geburtsdatum/-ort: 24.05.1931;  Kirchheim unter Teck
Sterbedatum/-ort: 28.02.2002; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Strafverteidiger
Kurzbiografie:

1951 VI 22 Reifeprüfung, Schlossgymnasium Heidelberg

1951 – 1955 Studium der Rechtswissenschaften, das erste Semester an der Universität Tübingen, dann an der Universität Heidelberg

1955, 1960 Erste und zweite juristische Staatsprüfung

1958 Promotion zum Dr. jur. bei Prof. Ernst Forsthoff

ab 1960 als Rechtsanwalt tätig, mit Zulassungen zunächst in Heidelberg und Mannheim, ab 1961 in Stuttgart

1972, Verteidiger der RAF-Mitglieder A. Baader, Sommer G. Ensslin, und Meinhof, H. Meins und J.-C. Raspe, ab 1. 1. 1975 nur noch von Baader

1975 III 12 Ausschluss als Verteidiger aus dem Strafverfahren gegen A. Baader

1975 VI 23 – 1975 VIII 12in Haft wegen des Verdachts der strafbaren Unterstützung der RAF

und 1976 VII 16 – 1976 VIII 19

1977 VII 11 Flucht nach Frankreich und dort Antrag auf Asyl, Auslieferung an die BRD am 30. 9. 1977

1977 IX 16 Rücknahme aller bisherigen Zulassungen als Rechtsanwalt (u. a. wegen Verletzung der Residenzpflicht) durch das Justizministerium Baden-Württemberg, durch Beschluss des BGH vom 21. 4. 1980 aber wiederhergestellt

1979 II 16 Verurteilung wegen Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF, vorzeitige Haftentlassung im Rahmen der „Weihnachtsamnestie“ am 5. 12. 1979

1981 – 1989 Als „IM Taler“ Informant für die Staatssicherheit der DDR

1985 III 8 Wiederzulassung als Rechtsanwalt beim Landgericht und Kammergericht in Westberlin; gleichzeitig bis 31. 12. 1989 Assistent der Regenbogen-Fraktion im Europaparlament in Brüssel

1989 – 1990 Abgeordneter im Kreuzberger Bezirksparlament für die Alternative Liste

ab 1990 Mitglied der PDS

1993 III 4 Verurteilung durch das Kammergericht Berlin zu 21 Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung sowie einer Geldbuße von 10.000 DM wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit als IM Taler für die Staatssicherheit der DDR; gleichzeitige Entlassung aus der seit 14. 11. 1992 dauernden Untersuchungshaft

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet:

unverheiratet


Eltern:

Vater: Hermann (1888 – 1954), Drogist

Mutter: Luise, geb. Kopp (1893 – 1974)


Geschwister:

ein Bruder, zwei Schwestern


Kinder:

ein Sohn

GND-ID: GND/118522825

Biografie: Klaus Pflieger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 8 (2022), 67-70

Croissant war Nachfahre von Hugenotten, die im 17. Jahrhundert von Frankreich nach Deutschland ausgewandert waren, und wuchs im mittelständischen Milieu in Württemberg auf. Sein Freund Chotjewitz beschreibt ihn u. a. als Ästhet, Bonvivant, fanatisch, uneinsichtig, eitel, feinsinnig, Jazzfan, Rechthaber, Leseratte, Gourmet, Weinkenner sowie Kunst- und Chaotenfreund. In seiner Kindheit während der NS-Zeit prägten vor allem zwei Vorkommnisse seine spätere linksgerichtete politische Einstellung: zum einen der Vorfall, dass ein Klassenlehrer die Schüler mit dem Hitlergruß begrüßte und diese ihn erwidern mussten; zum anderen das Erlebnis, dass er als Elfjähriger Menschen begegnete, die ein „J“ an der Kleidung trugen, und ihm seine Tante erklärte, dass dies Juden seien, mit denen man nicht reden dürfe.

Ab 1960 war Croissant als Rechtsanwalt tätig, vorrangig in Strafverfahren. Bekannt wurde er als Verteidiger von Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Diese Terrorgruppe hatte im Mai 1972 Sprengstoffanschläge auf die US-Hauptquartiere in Frankfurt und Heidelberg, zwei Polizeigebäude in Bayern, das Springer-Verlagshaus in Hamburg sowie den Ermittlungsrichter des BGH Buddenberg in Karlsruhe verübt. Bei diesen Attentaten waren vier amerikanische Soldaten getötet und zahlreiche Personen verletzt worden. Nach der Verhaftung der Tatverdächtigen Andreas Baader, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof im Juni/Juli 1972 war Croissant einer der Verteidiger aller fünf Beschuldigten, nach dem „Verbot der Mehrfachverteidigung“ ab 1975 nur noch von Baader.

Durch drei mediale Ereignisse sorgte Croissant für Aufsehen: Vom 9. bis 12. Februar 1973 beteiligte er sich aus Protest gegen die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen an einem Hungerstreik von Anwälten vor dem BGH; am 10. November 1974 gab er vor laufender Kamera mit dem Ausruf „Mörder! Mörder!“ den Tod von Holger Meins bekannt, der bei einem kollektiven Hungerstreik der RAF ums Leben gekommen war; am 4. Dezember 1974 begleitete er den französischen Philosophen und Schriftsteller Jean-Paul Sartre, als dieser Baader im Gefängnis in Stuttgart- Stammheim besuchte und nach dem Gespräch behauptete (ohne die Hafträume gesehen zu haben), die RAF-Gefangen würden aufgrund ihrer isolierten Haftsituation gefoltert.

Noch bevor der „Baader-Meinhof-Prozess“ vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begann, wurde Croissant wie die Rechtsanwälte Groenewold und Ströbele am 12. März 1975 vom Verfahren wegen des dringenden Verdachts ausgeschlossen, die RAF in strafbarer Weise unterstützt zu haben. Ihnen wurde angelastet, den RAF-Häftlingen mit einem „Info-System“ Papiere zugeleitet zu haben, um das Kommunikationssystem der RAF und damit den Zusammenhalt der Gruppe aufrechtzuerhalten. Wegen dieses Vorwurfs wurde Croissant 1975 und 1976 verhaftet, gegen die Stellung einer Kaution in Höhe von 80.000 DM aber jeweils wieder auf freien Fuß gesetzt. Erst nach seiner erneuten Verhaftung am 30. September 1977 kam es dann zu dem von März 1978 bis Februar 1979 dauernden Prozess mit 72 Verhandlungstagen, der mit einer rechtskräftigen Verurteilung Croissants zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren und einem Berufsverbot von vier Jahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung endete. Zwar kam Croissant kurz vor Ablauf der verhängten Strafe im Rahmen der sogenannten Weihnachtsamnestie am 5. Dezember 1979 wieder auf freien Fuß, im April 1980 entzog ihm der BGH jedoch seine Zulassung als Anwalt.

Auch nach seinem Ausscheiden als Anwalt der in Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder 1975 blieb Croissant in deren Umfeld aktiv. So fungierte er als Testamentsvollstrecker Ulrike Meinhofs, die sich in der Nacht zum 9. Mai 1976 am Gitter ihres Zellenfensters erhängt hatte. Zudem beteiligte er sich federführend an einer „Internationalen Untersuchungskommission“, welche die These vertrat, Meinhof sei ermordet worden.

Ein am 27. Juni 1977 gegen ihn durch das Landgericht Stuttgart verhängtes vorläufiges Berufsverbot – das aber auf die Verteidigung von terroristischen Straftaten beschränkt blieb – nutzte Croissant zu einer spektakulären Aktion. Er setzte sich nach Frankreich ab und beantragte dort politisches Asyl. Als Grund gab er an, dass es ihm als Verteidiger politischer Gefangener nicht mehr möglich sei, in der Bundesrepublik Deutschland seine Aufgabe als Rechtsanwalt, das Leben der Gefangenen aus der RAF zu schützen, zu erfüllen. Wegen dieser Flucht ins Ausland verfiel die Kaution, die für das beim Stuttgarter Landgericht anhängige Verfahren hinterlegt worden war, der Staatskasse; außerdem wurde deshalb Croissants Anwaltszulassung am 16. September 1977 zurückgenommen, der Haftbefehl gegen ihn wieder in Vollzug gesetzt. Als noch ein Haftbefehl der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Beteiligung an den RAF-Attentaten auf Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns-Martin Schleyer hinzukam, nahm die französischen Polizei Croissant schließlich am 30. September 1977 in Paris fest. Obwohl sich u. a. Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Françoise Sagan daraufhin für Croissant einsetzten, erfolgte im Mitte November 1977 dessen Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland, letztlich wegen des vor dem Stuttgarter Landgericht schwebenden Verfahrens (Vorwurf des Betreibens eines Info-System zugunsten der RAF).

Wieder in Deutschland sah sich Croissant mit einem weiteren Verdacht konfrontiert. Ende des Jahres 1977 wurde nach und nach bekannt, dass Mitarbeiter aus Croissants Kanzlei jene Waffen versteckt in Verteidiger-Akten ins Gefängnis geschmuggelt hatten, mit denen sich die RAF-Gefangenen Baader und Raspe in der Nacht zum 18. Oktober 1977 erschossen. Eine Beteiligung Croissants an diesem Waffenschmuggel konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.

Ende des Jahres 1982 kehrte Croissant Baden-Württemberg den Rücken und bezog mit der taz-Redakteurin Brigitte Heinrich eine Wohnung in Westberlin. Dort erhielt er im März 1985 auch seine Anwaltszulassung zurück und trat erneut als Strafverteidiger auf. Parallel dazu arbeitete er bis 1989 zuerst halbtags, dann ganztags als Fraktionsassistent der Grünen im Europa-Parlament, für die Frau Heinrich seit 1984 Abgeordnete war. Ende der 1980er Jahre versuchte sich Croissant dann auch selbst in der Politik. Für die Alternative Liste Westberlin saß er von 1989 bis Frühjahr 1990 im Kreuzberger Bezirksparlament. Bewerbungen um das Amt des Bezirksbürgermeisters von Berlin-Kreuzberg sowie für das Westberliner Abgeordnetenhaus scheiterten jedoch. 1990 trat er in die PDS ein.

Croissants offizielle Funktionen als Anwalt, Fraktionsassistent und Berliner Lokalpolitiker wurden in den 1980er Jahren ergänzt durch eine Geheimdiensttätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Ab Frühjahr 1981 arbeitete Croissant als einer von dessen sogenannten Inoffiziellen Mitarbeitern (Deckname „IM Taler“). Bis zum Fall der Berliner Mauer traf er sich in zahlreichen Fällen mit Vertretern der Staatssicherheit und lieferte ihnen Informationsmaterial. In dieser Funktion warb er auch Frau Heinrich an und führte sie als „ IM Beate Schäfer“ bis zu deren Tod am 29. Dezember 1987. Mit dem Zusammenbruch des SED-Staates wurde auch Croissants Spionagetätigkeit für die DDR bekannt, was am 14. September 1992 zu seiner erneuten Verhaftung führte. Am 4. März 1993 verurteilte ihn schließlich das Kammergericht Berlin wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu der Freiheitsstrafe von 21 Monaten mit Bewährung sowie einer Geldbuße von 10.000 DM.

Anfang Mai 1996 erlitt Croissant einen Gehirnschlag mit Lähmungserscheinungen, was zu nachfolgender Pflegebedürftigkeit und Berufsunfähigkeit führte. Croissant starb am 28. März 2002 im Alter von 71 Jahren in Berlin.

Quellen:

Landesarchiv Berlin, B REP 068-3929 bis B REP 068-2935; Urteil des Landgerichts Stuttgart gegen Croissant vom 16. 2. 1979 – XII KLs 97/76; Urteil des Kammergerichts Berlin gegen Croissant vom 4. 3. 1993 – (1) 3 StE 17/92-1 (8) (82/92).

Literatur:

Artikel „Sympathisanten II: Terroristen-Anwälte“, in: Der Spiegel Nr. 42/1977 vom 10. 10. 1977, online: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21113218.html; K.-P. Schmid, Frankreich – noch das Land des Asyls? –, in: Die Zeit vom 25. 11. 1977 über Croissants Auslieferung am 17. 11. 1977, online: https://www.zeit.de/1977/49/frankreich-noch-das-land-des-asyls; „Ja, jetzet!“, in: Der Spiegel Nr. 18/1978 vom 8. 5. 1978, online: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40617766.html; W. Gast, „Klaus Croissant verurteilt, aber frei“, in: die „taz“ vom 5. 3. 1993, online: https://taz.de/!1627106/; Gestorben – Klaus Croissant, in: Der Spiegel Nr. 15/2002 vom 8. 4. 2002, online: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-22019421.html; A. Schmid, Selbstmord durch Erhängen, in: Stern vom 10. 10. 2002, online: https://www.stern.de/politik/geschichte/ulrike-meinhof--selbstmorddurch-erhaengen--3860716.html; P. O. Chotjewitz, Mein Freund Klaus, 2. Auflage 2008; K. Pflieger, Die Rote Armee Fraktion – RAF – 14. 5. 1970 bis 20. 4. 1998, 3. Auflage 2011; F. Bohr/K. Wiegrefe, Artikel „Der Alte und das Arschloch“, in: Der Spiegel Nr. 6/2013 vom 4. 2. 2013, online: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90848693.html; K. Pflieger, Gegen den Terror – Erinnerungen eines Staatsanwalts, 2016; Klaus Croissant – RAF-Anwalt und MfS-Spitzel – Bericht in „Brisant“ von MDR-TV am 18. 10. 2017, online: https://www.mdr.de/zeitreise/croissant-102.html.

Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)