Hamm-Brücher, Hildegard
- Lebensdaten
- 1921 – 2016
- Geburtsort
- Essen
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Chemikerin ; Journalistin ; Politikerin ; Drehbuchautorin
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 118545396 | OGND | VIAF: 64000158
- Namensvarianten
-
- Hamm-Brücher, Hildegard Ruth Else
- Brücher, Hildegard Ruth Else
- Hamm-Brücher, Hildegard
- Hamm-Brücher, Hildegard Ruth Else
- Brücher, Hildegard Ruth Else
- Hamm-Brücher, Hildegard
- Brücher, Hildegard
- Brücher, Hildegard Hamm-
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Personen im NDB Artikel
- Ernst Ludwig Heuss (1910–1967)
- Ernst Schütte (1904–1972)
- Hans Leussink (1912–2008)
- Hans Maier (geb. 1931)
- Hans-Dietrich Genscher (1927–2016)
- Heinrich Wieland (1877–1957)
- Hellmut Becker (1913–1993)
- Helmut Schmidt (1918–2015)
- Josef Ertl (1925–2000)
- Jürgen Möllemann (1945–2003)
- Jürgen Wittenstein (1919–2015)
- Theodor Heuss (1884–1963)
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Hamm-Brücher, Hildegard Ruth Else (geborene Hildegard Ruth Else Brücher)
1921 – 2016
Chemikerin, Journalistin, Politikerin
Hildegard Hamm-Brücher gehörte zu den wenigen Politikerinnen, die in der bundesdeutschen Öffentlichkeit über ein hohes Ansehen verfügten und in Ämter vordrangen, die bis dahin nahezu ausschließlich von Männern besetzt waren. Sie kämpfte für eine umfassende Umgestaltung des Bildungswesens, für Gleichberechtigung der Frauen und für eine auf Partnerschaft beruhende auswärtige Kulturpolitik. In den 1980er Jahren setzte sie sich für eine Parlamentsreform und die Wiedergutmachung für bisher nicht berücksichtigte Opfer des NS-Regimes wie Zwangsarbeiter und Zwangssterilisierte ein.
Lebensdaten
Geboren am 11. Mai 1921 in Essen Gestorben am 7. Dezember 2016 in München Grabstätte Waldfriedhof in München Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Petra Weber (München)
-
Zitierweise
Weber, Petra, „Hamm-Brücher, Hildegard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118545396.html#dbocontent
Hildegard Hamm-Brücher wuchs nach dem frühen Tod der Eltern mit ihren zwei jüngeren Geschwistern bei ihrer Großmutter mütterlicherseits in Dresden auf. 1937 wechselte sie an das Internat in Schloss Salem, das sie ein Jahr später als „Halbjüdin“ wieder verlassen musste. Das Abitur legte sie Ostern 1939 am Konstanzer Mädchengymnasium ab. Nach Absolvierung des Reichsarbeitsdienstes studierte sie von 1940 bis 1945 Chemie an der Universität München bei dem Nobelpreisträger Heinrich Wieland (1877–1957), bei dem sie kurz vor Kriegsende zum Dr. rer. nat. promoviert wurde. Hamm-Brücher war nicht am aktiven Widerstand gegen das NS-Regime beteiligt, hatte aber engen Kontakt zu Hubert Furtwängler (1918–2011) und Jürgen Wittenstein (1919–2015), die zum weiteren Kreis der Weißen Rose zählten.
Von Oktober 1945 bis Ende März 1949 arbeitete Hamm-Brücher als Wissenschaftsredakteurin in München bei der von der US-amerikanischen Militärregierung herausgegebenen „Neuen Zeitung“. Anfang Mai 1948 trat sie in München der FDP bei, für die sie Ende Mai in den Münchner Stadtrat gewählt wurde, wo sie sich bis 1956 mit Jugend- und Schulpolitik befasste. Besonders um den Ruf Münchens als Kulturmetropole besorgt, setzte sie sich v. a. für die Berufung hervorragender Intendanten und Dirigenten ein.
Nach einem neunmonatigen Studienaufenthalt im Fach Politikwissenschaft an der Harvard University (Cambridge, Massachusetts, USA) zog sie im Herbst 1950 in den Bayerischen Landtag ein, dem sie bis 1966 angehörte. Hier trat sie, oft vergeblich gegen eine Übermacht der CSU ankämpfend, gegen die Konfessions- und für die Einführung der Gemeinschaftsschule, für eine Reform der Lehrerbildung und eine Neugestaltung der Schullesebücher ein. Wie schon im Stadtrat setzte sie sich zudem für die Gleichberechtigung von Frauen im Berufs- und öffentlichen Leben ein. Während der von SPD, FDP, Bayernpartei und dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) getragenen Koalition in Bayern von 1954 bis 1957 avancierte sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion und zu deren bildungspolitischen Sprecherin.
Nach dem Scheitern der Viererkoalition im Oktober 1957 legte Hamm-Brücher ihr Amt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende nieder, weil sie den „Anbiederungskurs“ der FDP an die CSU nicht mittragen wollte und im Gegensatz zu ihrer Fraktion eine Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr befürwortete. In der oberbayerischen FDP gewann ein national ausgerichteter Flügel um Albert Stückler (1913–1996) und Josef Ertl (1925–2000) zunehmend an Einfluss, der 1962 ihren Wiedereinzug in den Bayerischen Landtag durch eine schlechte Listenplatzierung zu verhindern suchte. Ihr gelang jedoch ein sensationeller Wahlerfolg als bestplatzierte aller bayerischen FDP-Kandidaten, der ein breites Echo in den Medien fand.
Seit 1964 gehörte Hamm-Brücher dem Bundesvorstand der FDP an, deren bildungspolitische Programmatik sie bis Anfang der 1970er Jahre prägte. Im selben Jahr gründete sie, die sich als politische Erbin des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss (1884–1963) begriff, mit dessen Sohn Ernst Ludwig Heuss (1910–1967) die überparteiliche Theodor-Heuss-Stiftung, die sie auch als Möglichkeit betrachtete, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Auf Empfehlung des Leiters des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Hellmut Becker (1913–1993), bot ihr der hessische Kultusminister Ernst Schütte (1904–1972) (SPD) Ende 1966 das Amt einer Staatssekretärin an, das sie im April 1967 antrat. Zu ihren Aufgaben zählten v. a. die Lehrplanreform und die Durchführung von Gesamtschulversuchen. Ende 1969 wechselte sie als beamtete Staatssekretärin in das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, um mit den Vertretern der Länder einen Bildungsgesamtplan auszuarbeiten. Am 31. Mai 1972 schied sie aus dem Ministerium aus, nachdem der Widerstand der Kultusminister in den CDU/CSU-regierten Ländern und fehlende Finanzmittel die von ihr gewünschte umfassende Reform des Bildungssystems durch die Einführung von Gesamtschulen und -hochschulen, die Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung in die Sekundarstufe II und die Einschulung Fünfjähriger vereitelt hatten und ein Zerwürfnis zwischen ihr und dem Bundesbildungsminister Hans Leussink (1912–2008) eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuließ.
Nach einem fulminanten Wahlkampf zog sie 1970 wieder in den bayerischen Landtag ein. Nach Aufgabe ihres Bonner Amts wurde sie 1972 Chefin der FDP-Landtagsfraktion in Bayern und führte bis 1976 kontroverse Diskussionen mit Kultusminister Hans Maier (geb. 1931), der sich der Einführung von Gesamtschulen und -hochschulen widersetzte.
1976 kandidierte Hamm-Brücher erfolgreich für den Bundestag und übernahm das ihr von Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) angetragene Amt einer Parlamentarischen Staatssekretärin im Außenministerium. Sie setzte Akzente auf dem Gebiet der auswärtigen Kulturpolitik und bemühte sich um einen vertieften Dialog v. a. mit den schwarzafrikanischen Staaten, deren kulturelle Identität sie wahren wollte. Im April 1981 betraute sie Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015) mit dem Amt der Koordinatorin für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. In einer Aufsehen erregenden Rede vor dem Deutschen Bundestag am 1. Oktober 1982 lehnte sie das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt ab, da ein „Machtwechsel ohne vorheriges Wählervotum“ für sie mit dem „Odium des verletzten demokratischen Anstands“ behaftet war.
Nach dem Verlust ihres Amtes im Zuge des Regierungswechsels stritt Hamm-Brücher bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag im September 1990 mit oft eher geringem Erfolg für eine Parlamentsreform, strengere Regeln beim Waffenexport, eine härtere Gangart gegenüber dem Apartheid-Regime in Südafrika sowie für die Wiedergutmachung an Opfern von Zwangssterilisation und Zwangsarbeit während des NS-Regimes.
Auch nach ihrem Rückzug aus der Bonner Politik blieb Hamm-Brücher eine Förderin zivilgesellschaftlichen Engagements und Kritikerin eines in ihren Augen hypertrophen Parteienstaates. 1994 stellte die FDP sie als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl auf, doch die FDP-Führung zwang sie, im dritten Wahlgang nicht mehr anzutreten, um den Fortbestand der Koalition mit der CDU/CSU nicht zu gefährden. Im September 2002 verließ sie die FDP wegen der gegen Israel gerichteten propalästinensischen Positionen und der ihrer, von einer wachsenden Zahl führender Freier Demokraten geteilten Auffassung nach Antisemitismus schürenden Politik des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann (1945–2003). Bis zu ihrem Tod verstand sie sich als „freischaffende Liberale“, die mit den Grünen sympathisierte. Als gefragte Zeitzeugin wollte sie der jungen Generation Vorbild sein.
1966 | Wolfgang-Döring-Medaille |
1980 | Dr. h. c., Katholische Universität Lima (Peru) |
1983 | Wilhelm Leuschner-Medaille des Landes Hessen |
1989 | Bayerische Verfassungsmedaille |
1991 | Goldene Bürgermedaille der Landeshauptstadt München |
1992 | Buber-Rosenzweig-Medaille |
1993 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland mit Stern und Schulterband |
1995 | Ehrenbürgerin der Stadt München |
1995 | Comenius-Preis der J. A. Comenius-Stiftung |
1996 | Wilhelm-Hoegner-Preis der bayerischen SPD-Landtagsfraktion |
1998 | Theodolinda-Preis der Stadt Monza (Italien) |
2001 | Lothar-Kreyssig-Friedenspreis |
2002 | Wartburgpreis der Wartburg-Stiftung Eisenach |
2005 | Dr. h. c., Universität Jena |
2005 | Heinz-Galinski-Preis |
2010 | Eugen-Kogon-Preis der Stadt Königstein |
2011 | Moses Mendelssohn Medaille |
2011 | Marion Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung |
2018 | Hildegard-Hamm-Brücher Straße, München-Freiham |
2021 | Hildegard-Hamm-Brücher-Preis für Chancengleichheit in der Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker |
2021 | Hildegard-Hamm-Brücher-Saal im Auswärtigen Amt, Berlin |
Nachlass:
Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, München.
Teilnachlass:
Archiv des Liberalismus, Gummersbach.
Untersuchungen an den Hefemutterlaugen der technischen Ergosteringewinnung, 1945. (Diss. rer. nat.)
Auf Kosten unserer Kinder? Wer tut was für unsere Schulen – Reise durch die pädagogischen Provinzen der Bundesrepublik und Berlin, 1966.
Aufbruch ins Jahr 2000 oder die Erziehung im technischen Zeitalter. Ein bildungspolitischer Report aus 11 Ländern, 1967.
Gegen Unfreiheit in der demokratischen Gesellschaft. Aufsätze, Debatten, Kontroversen, 1968.
Unfähig zur Reform? Kritik und Initiativen in der Bildungspolitik, 1972.
Vorkämpfer für Demokratie und Gerechtigkeit in Bayern und Bonn, 1974.
Bildung ist kein Luxus. Plädoyer gegen die Resignation in der Bildungspolitik, 1976.
Kulturbeziehungen weltweit. Ein Werkstattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, 1980.
Der Politiker und sein Gewissen. Eine Streitschrift für mehr Freiheit, 1983.
Gerechtigkeit erhöht ein Volk. Theodor Heuss und die deutsche Demokratie, 1984.
Kämpfen für eine demokratische Kultur. Texte aus vier Jahrzehnten, mit einem Vorw. v. Helmut Schmidt, 1986.
Der Freie Volksvertreter – eine Legende? Erfahrungen mit politischer Macht und Ohnmacht, 1990.
Wider die Selbstgerechtigkeit. Nachdenken über Sein und Schein der Westdeutschen, 1991.
Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz 1921–1996, 1996.
Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit. Die Weiße Rose und unsere Zeit, 1997.
Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Carola Wedel, hg. v. Wolfgang Homering, 1999.
Erinnern an die Zukunft. Ein zeitgeschichtliches Nachlesebuch 1991 bis 2001, 2001.
Ich bin so frei. Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Sandra Maischberger, 2003.
In guter Verfassung? Nachdenken über die Demokratie in Deutschland, 2006.
Und dennoch…. Nachdenken über Zeitgeschichte – Erinnern für die Zukunft, 2011.
Ursula Salentin, Hildegard Hamm-Brücher. Der Lebensweg einer eigenwilligen Demokratin, 1987.
Hellmuth von Schilling, Wag zu sein wie Daniel! Hildegard Hamm-Brücher. Eine Einzelkämpferin als Vorbild?, 1987.
Kirsten Bauer, Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch, 1996.
Carola Wedel/Inge Aicher-Scholl, Hildegard Hamm-Brücher – eine Präsidentin für alle, 1994.
Jakob S. Eder, Liberale Flügelkämpfe. Hildegard Hamm-Brücher im Diskurs über den Liberalismus in der frühen Bundesrepublik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), S. 291–325.