Muhs, Hermann
- Lebensdaten
- 1894 – 1962
- Geburtsort
- Barlissen bei Göttingen
- Sterbeort
- Göttingen
- Beruf/Funktion
- Jurist ; NS-Politiker ; Staatssekretär
- Konfession
- evangelisch-lutherisch (Austritt am 10.11.1936, revidiert am 16.11.1936)
- Normdaten
- GND: 23110846 | OGND | VIAF
- Namensvarianten
-
- Muhs, Hermann
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Muhs, Hermann
1894 – 1962
Jurist, NS-Politiker, Staatssekretär
Hermann Muhs war seit November 1936 ständiger Vertreter von Reichsminister Hanns Kerrl (1887–1941) im Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten. Nach dessen Tod im Dezember 1941 leitete Muhs das Ministerium als geschäftsführender Staatssekretär. Seit 1933 Mitglied der Glaubensbewegung Deutsche Christen, bekämpfte er die Bekennende Kirche.
Lebensdaten
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Autor/in
→Hansjörg Buss (Berlin)
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Zitierweise
Buss, Hansjörg, „Muhs, Hermann“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, zuletzt geändert am 01.01.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/23110846.html#dbocontent
Nach dem Besuch der Volks- und Realschule absolvierte Muhs seit 1912 eine Landwirtschaftliche Hochschule. Im August 1914 meldete er sich kriegsfreiwillig, diente an der Westfront als Feldartillerist, seit 1917 als Flugzeugführer, und geriet im August 1918 in französische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung im Frühjahr 1920 studierte Muhs für kurze Zeit Volkswirtschaft, dann Jura in Göttingen, Berlin und Königsberg. 1923 wurde er in Göttingen bei Julius Hatschek (1872–1926) zum Dr. iur. promoviert, eröffnete hier 1927 eine Rechtsanwaltkanzlei und wurde 1932 zum Notar bestellt.
Seit September 1929 Mitglied der NSDAP, wurde Muhs 1930 zum Stellvertreter des Gauleiters in Südhannover-Braunschweig, Bernhard Rust (1883–1945), ernannt und vertrat seine Partei 1932/33 im preußischen Landtag. Als Präsident des Regierungsbezirks Hildesheim verantwortete er seit März 1933 die „Gleichschaltung“ des öffentlichen Lebens und der Verwaltung, die Verfolgung politischer Gegner, die gewaltsame Zerschlagung der Gewerkschaften, die Beraubung von Juden und die Errichtung des Konzentrationslagers Moringen bei Northeim. Im September 1935 verlor Muhs sein Amt, nachdem er mehrfach seine Aufsichtspflicht als Regierungspräsident verletzt und ihm nahestehende „alte Kämpfer“ gedeckt hatte, darunter den Hildesheimer Oberbürgermeister Heinrich Schmidt (1902–1960). Auch gegen Muhs wurden Vorwürfe der persönlichen Bereicherung, der Korruption und einseitiger Amtsführung erhoben.
Seit 1933 gehörte Muhs dem Kirchensenat der lutherischen Landeskirche an. Trotz massiver kirchlicher Widerstände berief ihn der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, Hanns Kerrl (1887–1941), am 16. November 1936 zu seinem ständigen Vertreter. Am 19. April 1937 von Adolf Hitler (1889–1945) zum Staatssekretär ernannt, übernahm Muhs im Ministerium aufgrund langer Fehlzeiten Kerrls bald eine führende Rolle. Er verfolgte durch staatliche Verwaltungskontrolle (v. a. der Kirchenfinanzen) und weltanschauliche Indoktrinierung das Ziel, die durch den „Kirchenkampf“ gespaltene evangelische Kirche zu befrieden und in den NS-Staat einzugliedern.
Als Staatssekretär und Exponent völkisch-deutschchristlicher Kräfte innerhalb der evangelischen Kirche bekämpfte Muhs die Bekennende Kirche, wobei ihm trotz enger Kooperation mit dem Reichssicherheitshauptamt und der Gestapo durchschlagender Erfolg versagt blieb. Am 20. Januar 1942 wies Hitler Muhs auf Drängen Martin Bormanns (1900–1945) an, sein Amt nur geschäftsführend und ohne eigene kirchenpolitische Akzente zu führen. Die Leitungskompetenz der NS-Kirchenpolitik lag künftig bei der Parteizentrale. Bereits zuvor war Muhs „in Ehren“ aus der SS entlassen worden, nachdem er entgegen dem Befehl Heinrich Himmlers (1900–1945) in SS-Uniform am Begräbnis des Kölner Erzbischofs Karl Joseph Kardinal Schulte (1871–1941) teilgenommen hatte.
Von 1936 bis 1945 leitete Muhs die Zentralabteilung der Reichsstelle für Raumordnung (RfR) und war zugleich Vorstandsvorsitzender der Reichsplanungsgemeinschaft. Formal stand er somit an der Spitze der für Raumordnung zuständigen Verwaltungs- und Planungsinstanzen, nachdem die RfR ab 1933/34 eine zentralstaatliche Aufwertung erfahren hatte. Fachlich nicht ausgewiesen, forcierte Muhs mit programmatischen Schriften ihre nationalsozialistische und rassenideologische Ausrichtung. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verlor das RfR v. a. im Hinblick auf die weitreichenden Pläne zur Neugestaltung der eroberten Ostgebiete gegenüber einflussreichen konkurrierenden Dienststellen wie dem im Oktober 1939 zum Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums ernannten Himmler an Bedeutung. 1943 konnte Muhs die drohende Auflösung des RfR nur mit Mühe abwenden.
Nach Kriegsende von Juni 1945 bis Mai 1948 interniert, wurde Muhs am 16. April 1948 durch das Spruchgericht Bielefeld zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, die aufgrund seiner Internierung als abgegolten galt. Im Oktober 1951 wurde er nach mehreren Berufungsverfahren in die Kategorie V (Entlastete) eingestuft. Seinen Versuch, die Versorgungsansprüche eines Oberregierungsrats einzuklagen, lehnte das Bundesverwaltungsgericht ab. 1959 erhielt Muhs die erneute Zulassung als Rechtsanwalt, praktizierte jedoch nicht mehr und verbrachte seinen Lebensabend in seinem Heimatort Barlissen. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seinem Handeln während der NS-Diktatur ist nicht bekannt, vielmehr blieb Muhs bis zu seinem Tod in regionale „Kameradennetzwerke“ eingebunden.
1917/18 | Eisernes Kreuz II. Klasse |
1928 | Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (Mitbegründer) |
1931 | Vorsitzender des Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss (USchlA) des Gaues Hannover-Braunschweig |
1933 | Ehrenbürger der Gemeinde Barlissen |
1933 | Mitglied der Glaubensbewegung Deutsche Christen |
1933 | Vorsitzender des Landesverkehrsverbandes Weserbergland (bis 1936) |
1933 | Vorsitzender des Kuratoriums der Harzwasserwerke |
1933 | Ehrenbürger der Stadt Northeim, aberkannt am 4. Dezember 1990 auf Antrag der CDU-Ratsfraktion |
1933 | Ehrenbürger der Stadt Herzberg, aberkannt am 4. März 2009 |
1933?–1937 | Bezirksführer (Hildesheim) des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge |
1934 | Ehrenbürger der Stadt Hildesheim. Anlässlich des 50. Jahrestags des 30. Januar 1933 distanzierten sich Rat und Verwaltung am 7. Februar 1983 von dem damaligen Verleihungsakt. |
1942 | Führerring der Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft e. V. |
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, NS 5-VI/17678 („Führertum“: Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Bd. 170 Mülln-Mull.); R 9361-III/544831 (SS-Führerpersonalakten, Bestand BDC); R 5101 (Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten); R 113 (Reichsstelle für Raumordnung).
Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Hannover, Nds. 171 Hildesheim, Nr. 73849. (Entnazifizierungsakte)
Gedruckte Quellen:
Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945, insb. Bd. 4: 1936–1939, 1981; Bd. 5: 1940–1942, 1983; Bd. 6: 1943–1945, 1985.
Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, hg. v. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, insb. Bd. 3: Von der Errichtung des Reichskirchenministeriums bis zum Rücktritt des Reichskirchenausschusses (Juli 1935–Februar 1937), 1994; Bd. 4: Vom Wahlerlaß Hitlers bis zur Bildung des Geistlichen Vertrauensrates (Februar 1937–September 1939), 2000; Bd. 5: Die Zeit des Zweiten Weltkriegs (1939–1945), 2008.
Das Notverordnungsrecht nach Landesstaatsrecht, 1924. (Diss. iur.)
Hermann Muhs/Konrad Mayer, Volk, Staat und Raum. Zwei Vorträge, gehalten auf der Frühjahrstagung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung im Mai 1937. Sonderdruck aus der Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung, 1937.
Die Raumordnung in der nationalsozialistischen Staatspolitik, in: Raumforschung und Raumordnung 1937, S. 517–523.
Die Raumordnung vor neuen Aufgaben, in: Raumforschung und Raumordnung, 1938, S. 473–480.
Durch Raumplanung zur Raumordnung, ohne Datum, unveröffentlicht [vermtl. 1937/38], in: Bundesarchiv Koblenz, R113/2264.
Das Programm des neuen Kurses der Kirche, ohne Datum, unveröffentlicht [1938], in: Evangelisches Zentralarchiv, 40/567.
Zur Befriedung der Evangelischen Kirche, in: ohne Datum, unveröffentlicht [1938], in: Evangelisches Zentralarchiv, 50/45.
Monografien:
Marcel Herzberg, Raumordnung im nationalsozialistischen Deutschland, 1997.
Heike Kreutzer, Das Reichskirchenministerium im Gefüge der nationalsozialistischen Herrschaft, 2000.
Michael Venhoff, Die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG) und die reichsdeutsche Raumplanung seit ihrer Entstehung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, 2000.
Ariane Leendertz, Ordnung schaffen. Deutsche Raumplanung im 20. Jahrhundert, 2008.
Aufsätze und Artikel:
Andreas Schulz/Matthias Wolfes, Art. „Muhs, Hermann“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, bearb. u. hg. v. Friedrich Wilhelm Bautz, Bd. 17, 2000, Sp. 993–1002.
Beatrix Herlemann, Art. „Muhs, Dr. jur. Hermann“, in: dies., Biographisches Lexikon niedersächsischer Parlamentarier 1919–1945. Unter Mitarbeit v. Helga Schatz, 2004, S. 255 f. (P)
Joachim Lilla (Bearb.), Der Preußische Staatsrat 1921–1933. Ein biographisches Handbuch, 2005, S. 225 f.
Joachim Lilla (Bearb.), Der Reichsrat. Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs 1919–1934. Ein biographisches Handbuch, 2006, S. 487 f.
Klaus Arndt, Dr. Hermann Muhs (1894–1962). Eine biographische Skizze in zwei Teilen, Teil 1: Vom Göttinger Jurastudenten zum nationalsozialistischen Regierungspräsidenten in Hildesheim, in: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim 81 (2009), S. 75–116; Teil 2: Von Hildesheim über Hannover nach Berlin, in: ebd. 82 (2010), S. 71–125.
Jörn Barke, Aufstieg und Fall eines NS-Funktionärs, in: Göttinger Tageblatt v. 28.2.2011.
Hansjörg Buss, Das Reichskirchenministerium unter Hanns Kerrl und Hermann Muhs, in: Manfred Gailus (Hg.), Täter und Komplizen in Theologie und Kirche 1933–1945, 2015, S. 140–170.
Biographisches Handbuch der Abgeordneten des Preußischen Landtags. Verfassungsgebende Preußische Landesversammlung und Preußischer Landtag 1919-1933, hg. u. bearb. v. Barbara von Hindenburg, 2017, S. 1667–1669.
Hansjörg Gutberger, Die Forschungsprogramme der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG) von 1936 bis 1939, in: Sabine Baumgart (Hg.), Raumforschung zwischen Nationalsozialismus und Demokratie. Das schwierige Erbe der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, 2020, S. 8–25.