Bouhler, Philipp
- Lebensdaten
- 1899 – 1945
- Geburtsort
- München
- Sterbeort
- Zell am See (Österreich)
- Beruf/Funktion
- NS-Politiker ; Chef der „Kanzlei des Führers“ ; Publizist ; Nationalsozialist
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 11627266X | OGND | VIAF: 69677637
- Namensvarianten
-
- Bouhler, Philipp
- Bouhler, Ph.
Vernetzte Angebote
- * Antragsstellende der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutschen Forschungsgemeinschaft (GEPRIS Historisch – Forschungsförderung von 1920 bis 1945) [2021]
- Biographisches Archiv der Psychiatrie [2012]
- * Personen im Bayerischen Verwaltungshandbuch (BLO) [2009-]
- * Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten Basis: Parlamentsalmanache/Reichstagshandbücher 1867 - 1938 [1867-1938]
- * Kalliope-Verbund
- Archivportal-D
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Personendaten-Repositorium der BBAW [2007-2014]
- Pressemappe 20. Jahrhundert
- * Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten Basis: Parlamentsalmanache/Reichstagshandbücher 1867 - 1938 [1867-1938]
- * Historisches Lexikon Bayerns
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- Index Theologicus (IxTheo)
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
- * Personen im Bayerischen Verwaltungshandbuch (BLO) [2009-]
Verknüpfungen
Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel
- Adolf Hitler (1889–1945)
- Alfred Rosenbergs (1893–1946)
- Christoph Beckmann
- Gregor Straßer (1892–1934)
- Hans Heinrich Lammers (1879–1962)
- Heinrich Himmler (1900–1945)
- Hermann Görings (1893–1946)
- Joseph Goebbels’ (1897–1945)
- Karl Brandt (1904–1948)
- Maike Rotzoll
- Martin Bormann (1900–1945)
- Max Amann (1891–1957)
- Odilo Globocnik (1904–1945)
- Rudolf Heß (1894–1987)
- Viktor Hermann Brack (1904–1948)
Orte
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Bouhler, Philipp
1899 – 1945
NS-Politiker, Chef der „Kanzlei des Führers“, Publizist
Der nationalsozialistische Politiker Philipp Bouhler war von 1934 bis 1945 Leiter der „Kanzlei des Führers“ und in dieser Funktion hauptverantwortlich für Massenmorde an psychisch Kranken, Behinderten und KZ-Häftlingen. Nach dem Abbruch der zentralen Gasmordaktion „T4“ im August 1941 vermittelte er sein Personal zum Aufbau der Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ in Bełżec, Sobibor und Treblinka.
Lebensdaten
Geboren am 11. September 1899 in München Gestorben am 19. Mai 1945 (Suizid) in auf der Fahrt von Zell am See (Österreich) nach Dachau Grabstätte ungezeichnet in Dachau Konfession evangelisch -
Autor/in
→ Christoph Beckmann (Heidelberg) / Maike Rotzoll (Heidelberg)
-
Zitierweise
Rotzoll, Maike / Beckmann, Christoph, „Bouhler, Philipp“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11627266X.html#dbocontent
Erster Weltkrieg und frühe Parteikarriere
Aus einer Offiziersfamilie stammend, trat Bouhler 1912 in München in das Bayerische Kadettenkorps ein, meldete sich im Juli 1916 freiwillig als Offizier zum Ersten Weltkrieg und wurde an der Westfront eingesetzt. Infolge einer schweren Kriegsverwundung im August 1917 litt er zeitlebens an einer Gehbehinderung. 1919 legte er das Notabitur ab, trat dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund bei und begann, Germanistik und Philosophie zu studieren. Parallel absolvierte er ein Volontariat beim Münchner J. F. Lehmanns Verlag.
Seit Juli 1922 Parteimitglied, wurde Bouhler rasch stellvertretender Geschäftsführer der NSDAP hinter Max Amann (1891–1957), gehörte jedoch nicht zum inneren Kreis um Adolf Hitler (1889–1945), in dessen Putschversuch vom November 1923 er nicht eingeweiht war. 1924/25 war er Geschäftsführer der „Großdeutschen Volksgemeinschaft“, einer Ersatzorganisation der verbotenen NSDAP. Seit deren Neugründung führte Bouhler die prestigeträchtig niedrige Mitgliedsnummer 12 und wurde im März 1925 zum Reichsgeschäftsführer der NSDAP ernannt – eine Position, die durch den Aufstieg von Rudolf Heß (1894–1987) zu Hitlers Privatsekretär und die Übertragung von Kompetenzen an Gregor Straßer (1892–1934) bald an Bedeutung verlor. 1932 veröffentlichte Bouhler die Propagandaschrift „Adolf Hitler. Das Werden einer Volksbewegung“, die bis 1945 in zahlreichen Auflagen Verbreitung fand.
Funktionär der NS-Literaturpolitik
Bouhler wurde im Juni 1933 zum Reichsleiter der NSDAP ernannt und im April 1934 zum Vorsitzenden der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums (PKK) bestimmt. Aufgrund unklarer Kompetenzverteilungen stand diese in Konkurrenz zum Amt Schrifttumspflege in der Dienststelle Alfred Rosenbergs (1893–1946) und in unklarem Verhältnis zu Joseph Goebbels’ (1897–1945) ungleich einflussreicherem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
Als Vorsitzender der PKK war Bouhler dafür verantwortlich, alle Publikationen zu überwachen, die sich als „nationalsozialistisch“ bezeichneten, um eine „Verwässerung“ des NS-Gedankenguts zu verhindern und unerwünschten Folgen einer kommerziellen Nutzung des Begriffs entgegenzutreten. Zur Zensur beanstandeter Schriften blieb die PKK auf die Kooperation des Propagandaministeriums angewiesen, konnte jedoch deren Entfernung aus dem Buchhandel verfügen. Die Liste der als unbedenklich deklarierten Publikationen wurde seit 1936 in Form der von Bouhler herausgegebenen „Nationalsozialistischen Bibliographie“ veröffentlicht.
Seit Dezember 1937 war Bouhler Beauftragter des Führers für die Bearbeitung der Geschichte der NS-Bewegung. Seine Schrift „Kampf um Deutschland. Ein Lesebuch für die deutsche Jugend“ (1938) fand bis 1943 mit einer Auflage von über 1,5 Millionen Exemplaren massenhafte Verbreitung. Hinzu kam 1941 die von Hitler persönlich geschätzte Biografie „Napoleon. Kometenbahn eines Genies“.
Leiter der „Kanzlei des Führers“ und Organisator der „Aktion T4“
Vom 17. November 1934 bis 23. April 1945 war Bouhler Chef der „Kanzlei des Führers“ (KdF) in Berlin. Diese etablierte sich bis 1936 als offizielle Instanz für Gesuche und Gnadenangelegenheiten, v. a. bei wirtschaftlichen Anliegen im Kontext des „Vierjahresplans“ sowie in Bezug auf Ausnahmeregelungen von Eheverboten und Zwangssterilisationen. Bouhler erhielt so Zugang zum wichtigen Feld der Erbgesundheitspolitik. Im Lauf des Jahres 1939 (eine genaue Datierung ist quellenmäßig nicht möglich) beauftragte Hitler seinen Leibarzt Karl Brandt (1904–1948) und Bouhler, Kinder mit schweren Behinderungen von ausgewählten Ärzten töten zu lassen. Dem auf dieser Grundlage geschaffenen System der Kinder-„Euthanasie“ fielen bis 1945 in rund 30 „Kinderfachabteilungen“ mindestens 5000 Kinder zum Opfer.
Im Sommer 1939 wurden Bouhler und Brandt von Hitler zudem beauftragt, im Kriegsfall die Ermordung von Anstaltspatientinnen und -patienten zu organisieren. In der Folgezeit etablierten sie ein Netzwerk aus Ärzten und Verwaltungsfachleuten zur Organisation der bald als „Aktion T4“ bezeichneten, zentral organisierten NS-„Euthanasie“, der bis zum Abbruch der Aktion im August 1941 rund 70 000 Menschen zum Opfer fielen. Bouhlers Weg zum Cheforganisator des Krankenmords resultierte v. a. aus seinem Bestreben, neu entstehende Aufgaben in den von ihm geführten Institutionen an sich zu ziehen. Er überließ die praktische Organisation weitgehend dem Leiter des Amts II der Kdf, Viktor Hermann Brack (1904–1948), war jedoch im Januar 1940 bei der Probevergasung in Brandenburg anwesend.
Bouhler trat v. a. dann in Erscheinung, wenn der T4-Apparat in Kontakt oder Konflikt mit anderen Organisationen des NS-Staats kam. Seine Unterschrift ermöglichte die Beschaffung restringierter Materialien, an ihn wurden die für Personal, Material etc. nötigen Geldmittel gezahlt und er vermittelte die Verwendung der T4-Anlagen und Mitarbeiter für weitere Mordaktionen. Bouhler legte mit Brandt die Kategorien fest, nach denen die Gutachter über Leben und Tod der per Meldebögen erfassten Patientinnen und Patienten entschieden, und machten die Arbeitsfähigkeit zum wichtigsten Entscheidungsfaktor über die Ermordung. Die Tarnung der Gaskammern als Duschräume ging auf Bouhlers Vorschlag zurück. Weitere zentrale Entscheidungen, etwa die systematische Ermordung jüdischer Patientinnen und Patienten seit Sommer 1940, waren nur mit seiner Zustimmung denkbar.
Beteiligung am Holocaust und Machtverlust im Reich
Im Frühjahr 1941 bot Bouhler dem Reichsführer-SS, Heinrich Himmler (1900–1945), die Nutzung seiner Organisation zur Ermordung v. a. von nicht mehr arbeitsfähigen KZ-Häftlingen an. Im Rahmen dieser Kooperation wurden Gutachter der „Aktion T4“ in die Lager geschickt. Diese später als „Aktion 14f13“ bezeichnete Zusammenarbeit bildete zusammen mit der „Aktion T4“ eine doppelte Verbindung der Krankenmorde zum Holocaust. Nach dem Ende der „Aktion T4“ entsandte Bouhler auf Bitte des SS- und Polizeiführers in Lublin, Odilo Globocnik (1904–1945), Personal der T4-Tötungsanstalten für die Ermordung der Juden im Rahmen der „Aktion Reinhardt“. Diese stellten dann fast alle SS-Männer in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibor und Treblinka, einschließlich der Kommandeure und ihrer Stellvertreter.
Indessen erodierte Bouhlers Stellung in Berlin. Seinen Konkurrenten Hans Heinrich Lammers (1879–1962) und Martin Bormann (1900–1945) gelang Anfang 1942 eine Entmachtung Bouhlers. Die KdF verlor weitgehend den Zugang zu Hitlers Post. Grundsatzentscheidungen in Gnadensachen wurden künftig durch Bormanns Dienststelle entschieden, während die KdF nur noch für nicht grundsätzlich geregelte Einzelfälle zuständig war. Im April 1945 verließ Bouhler im Gefolge Hermann Görings (1893–1946) Berlin in Richtung Bayern. Bei Kriegsende befand er sich in Zell am See (Österreich), wo ihn US-amerikanische Truppen festnahmen. Am 19. Mai 1945 beging er mit seiner Frau auf dem Weg in das Internierungslager Dachau Suizid.
1917 | Eisernes Kreuz II. Klasse |
1918 | Bayerischer Militärverdienstorden (IV. Klasse) mit Schwertern |
1934 | Mitglied der Akademie für Deutsches Recht |
1938 | Goldenes Abzeichen der Hitler-Jugend |
1939 | Kriegsverdienstkreuz II. und I. Klasse |
1943 | Dotation in Höhe von 100 000 Reichsmark durch Adolf Hitler |
Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP |
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV Kriegsarchiv, München, Kriegsstammrollen und Kriegsstammrollen des Kgr. Bayern, 1914–1918, Bd. 14760/1: 1. Fußartillerieregiment, 1. Bataillon (Eintrag Philipp Bouhler); Bd.15222/1 (Reserve-Fußartillerie-Regiment 1, Eintrag Emil Jakob Bouhler).
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 9361-III/518430. (Personalakte)
Bundesarchiv, Koblenz, NS 51 (Kanzlei des Führers der NSDAP); NS 11 (Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums).
Gedruckte Quellen:
Eugen Kogon/Langbein Hermann/Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation, 1983.
Ernst Klee (Hg.), Dokumente zur „Euthanasie“, 1985.
Adolf Hitler. Das Werden einer Volksbewegung, 1932, 251943, engl. 1938, niederl. 1942.
Kampf um Deutschland. Ein Lesebuch für die deutsche Jugend, 1938.
Napoleon. Kometenbahn eines Genies, 1941, 21942, franz. 1942.
Monografien:
Kurt Nowak, „Euthanasie“ und Sterilisierung im „Dritten Reich“. Die Konfrontation der evangelischen und katholischen Kirche mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und der „Euthanasie“-Aktion, 1978.
Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 1987.
Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, 1995.
Henry Friedländer, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, 1997.
Peter Longerich, Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur „Endlösung“, 2001.
Annette Hinz-Wessels, Tiergartenstraße 4. Schaltzentrale der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde, 2015.
Wolfram Pyta, Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse, 2015, S. 382 f.
Guenter Lewy, Harmful and Undesirable. Book Censorship in Nazi Germany, 2016.
Christoph Schneider, Diener des Rechts und der Vernichtung. Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz von 1941 oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer, 2017.
Aufsätze und Artikel:
Volker Dahm, Die nationalsozialistische Schrifttumspolitik nach dem 10. Mai 1933, in: Ulrich Walberer (Hg.), 10. Mai 1933. Die Bücherverbrennung und die Folgen, 1983, S. 36–83.
Jeremy Noakes, Philipp Bouhler und die Kanzlei des Führers der NSDAP. Beispiel einer Sonderverwaltung im Dritten Reich, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, 1986, S. 208–236.
Hans-Walter Schmuhl, Philipp Bouhler. Ein Vorreiter des Massenmords, in: Ronald Smelser/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hg.), Die Braune Elite II. 21 weitere biographische Skizzen, 21999, S. 39–50. (P)
Hermann Weiß, Art. „Bouhler, Philipp“, in: ders. (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, überarb. Neuausg., 22011, S. 51 f.
Jessica Thönnissen/Ansgar Fabri/Burkhart Brückner, Art. „Bouhler, Philipp. Zentraler Akteur der NS-Patiententötungen, nationalsozialistischer Politiker und Publizist“, in: Biographisches Archiv der Psychiatrie, 2015 (Onlineressource).
Fotografien, Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sammlung Heinrich Hoffmann.
Fotografie, ca. 1933, Abbildung in: Reichstags-Handbuch, VIII. Wahlperiode 1933, hg. v. Büro des Reichstags, 1933, S. 325. (Onlineressource)
Fotografie, ca. 1934, Abbildung in: Reichstags-Handbuch, IX. Wahlperiode 1933, hg. v. Büro des Reichstags, 1934, S. 388. (Onlineressource)