Der Schacht 2: Überlebenskampf auf 333 Ebenen

Der im März 2020 gezeigte spanische Science-Fiction-Film Der Schacht nutzt eine interessante Allegorie auf die Gesellschaft: mit denen ganz oben, denen in der Mitte und denen ganz unten. Knapp fünf Jahre später gibt es nun die Fortsetzung Der Schacht 2(öffnet im neuen Fenster) (Start bei Netflix: 4. Oktober 2024). Sie ist eigentlich ein Prequel, das den ersten Teil aber konsequent weiterdenkt.
Erinnern wir uns: In Der Schacht findet Hauptfigur Goreng sich in einem riesigen Schacht mit Dutzenden Ebenen wieder. Jeden Tag wird eine Plattform mit den herrlichsten Lebensmitteln abgesenkt. Man kann sich daran gütlich tun, dann erklingt ein Geräusch und die Plattform fährt zur darunterliegenden Ebene.
Nun sind die Menschen auf dieser Plattform dran zu essen. Was sie übrig lassen, erhalten die nächsten. Je tiefer im Schacht man ist, desto weniger ist auf der Plattform übrig.
Der Film erinnert an Vincenzo Natalis Cube(öffnet im neuen Fenster) , ist aber intensiver, direkter und mit seinem Blick auf die Menschen weit abgründiger und desillusionierender.
Denn er zeigt nicht nur eine Gesellschaft von denen da oben, die alles haben, und denen da unten, denen gar nichts bleibt, sondern auch den einzelnen, der sich in diesem System zurechtfindet, wenn nicht gar einnistet. Es geht um ungerechte Verteilung, um die Vermögenden und die Habenichtse, um den Willen zu überleben, und um das, was man bereit ist, dafür zu tun.
Wenig Hintergrund
In diesem Schacht könnte jeder überleben, wenn jeder nur das essen würde, was er wirklich braucht. Doch die Völlerei und der Überfluss der oberen Ebenen sorgen für Mord und Totschlag auf den unteren. Das illustriert der Film anhand einiger hervorragend gestalteter Figuren, denen kaum Background zugestanden wird, die aber dennoch angesichts der Extremsituation lebendig werden.
Die Hintergründe des Schachts werden nicht genau erläutert, nur über zwei Figuren erfährt man etwas mehr, der Rest bleibt nebulös. Manche der Menschen dort sind freiwillig drin, andere nicht.
Am Ende ist das aber auch egal, geht es doch darum, inmitten dieser Hölle auf Erden ein Zeichen zu setzen, das das System selbst herausfordert.
Gesetze regeln das Leben
Während der erste Teil noch unabhängig produziert und von Netflix gekauft worden war, ist Der Schacht 2 eine echte Netflix-Produktion. Der Produktionswechsel hat am Look der Filme nichts geändert - Der Schacht 2 ist visuell voll auf Linie des Vorgängers.
Im Schacht gibt es die Gesetze von außen, vom System, die besagen, dass Kannibalismus verboten ist, und die Regeln von innen. Jeder Insasse des Schachts wurde anfangs befragt, was seine Leibspeise ist. Die bekommt er täglich.
Es kann aber auch jeder alles essen, dann bleibt denen am Ende der 333 Ebenen nicht viel oder gar nichts. Darum haben die Schachtbewohner ihre eigenen Regeln ersonnen. Gegessen wird nur, was bestellt ist, das Essen von Toten wird vernichtet, Essen darf getauscht werden.
Zwei Neue im Schacht wachen auf Ebene 24 auf und werden mit diesen Regeln vertraut gemacht. Diese Regeln erhalten Leben, weil ihr Nichtbefolgen bedeuten würde, dass die Menschen verhungern - zumindest einige.
Dennoch halten sich nicht alle daran. Die sogenannten Barbaren essen, was sie wollen, aber sie bezahlen auch dafür. Denn die Wächter setzen die Regeln durch, sie verstümmeln und töten. Es ist ein rigides System ohne Gnade und ohne Relativierung.
Die Frau von Ebene 24 lebt erst nach diesen Regeln - bis sie es dann nicht mehr tut. Jedes rigide System gebiert Rebellion, die im Umkehrschluss das Ende von allem bedeuten kann.
Auch Der Schacht 2 nutzt die Allegorie, dass wenige oben alles haben und denen unten nichts bleibt. Hier wird nun aber der Versuch gestartet, das durch absolute Solidarität zu verhindern. Nur: Menschen sind nicht absolut solidarisch, sondern ichbezogen und egoistisch - umso mehr, wenn es ums Überleben geht. Und: Egal, wie sehr das Gesetz auch dafür sorgt, dass wirklich alle überleben können, wird irgendwer immer ausscheren.
Die individuelle Freiheit
Im Grunde kann man Der Schacht 2 als Metapher auf vieles lesen, auch auf die Klimakrise(öffnet im neuen Fenster) , bei der alle wissen, dass sie da ist, die Konsequenzen bitter sind und noch bitterer werden, aber einige sich getreu dem Motto "Nach mir die Sintflut" ausklinken. Der Schacht 2 funktioniert so auch als Sinnbild für unsere Gesellschaft, in der nie alle am selben Strang ziehen. Zugleich zeigt der Film, dass ein System, das auf extremem Druck aufgebaut ist oder alle Freiheiten einschränkt, immer auch auf Widerstand stoßen wird.
Es lässt sich unglaublich viel in die beiden Filme hineinlesen - das macht sie zu cleverer und spannender Science-Fiction mit echter Aussage. Es sind Filme, die das fantastische Ambiente nur als Rahmen nehmen, sich aber eigentlich damit beschäftigen, was es heißt, ein Mensch zu sein und dabei den Blick vor den hässlichen Seiten nicht verschließen.