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Raumfahrt: Wie die Raketen landen lernten

Bis Mittwoch hatte SpaceX 267 erfolgreiche Landungen in Folge. Wir blicken auf die Geschichte und die Zukunft wiederverwendbarer Raketen.
/ Frank Wunderlich-Pfeiffer
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Nach 267 erfolgreichen Landungen in Folge misslang die 268. Das hier war die zweite. (Bild: SpaceX / Screenshot: Golem.de)
Nach 267 erfolgreichen Landungen in Folge misslang die 268. Das hier war die zweite. SpaceX / Screenshot: Golem.de

Nach 267 erfolgreichen Landungen in Folge(öffnet im neuen Fenster) hat SpaceX bei Flug Nummer 367 der Falcon 9 erstmals wieder ungeplant eine Raketenstufe der Falcon 9 oder Falcon Heavy bei der Landung verloren(öffnet im neuen Fenster) . Es war der 23. Flug der Raketenstufe mit der Seriennummer 1058. Die Raketenstufe kippte direkt nach dem Aufsetzen in Richtung eines der Landebeine um, nachdem die Stufe aufgesetzt hatte und die Verstrebung des Landebeins gebrochen war. Bislang äußerte sich SpaceX noch nicht zur genauen Ursache.

Der jüngste Verlust einer Raketenstufe hatte nicht einmal etwas mit der Landung an sich zu tun. Stattdessen geriet das Landeschiff nach der erfolgreichen Landung von Flug 283 am 23. Dezember 2023 in unerwartet hohen Seegang, wodurch die Raketenstufe nicht gesichert werden konnte, schließlich umkippte und über Bord fiel.

Dennoch steht fest: Das einst belächelte Verfahren zur Wiederverwendung von Raketenstufen ist längst zur Routine geworden. Die Landungen von SpaceX haben inzwischen eine höhere demonstrierte Zuverlässigkeit als die Raketenstarts aller anderen Raketenbauer.

Im Rückblick zeigt sich, dass die vielen Probleme während der Entwicklung bei SpaceX vor allem durch Unerfahrenheit selbst verschuldet waren. Gerade die Wiederverwendung der ersten Stufe scheint aber ein gut lösbares Problem zu sein, sobald die grundlegende Raketentechnik funktioniert. Die Falcon 9 wird nicht mehr lange allein bleiben.

Die Falcon 9 sollte einst am Fallschirm landen

SpaceX verlor vor allem in den frühen Jahren zwischen 2013 und 2016 eine Reihe von Raketenstufen bei Flugtests und Landeversuchen. Die erste Landung gelang mit Flug 20 der Falcon 9 am 22. Dezember 2015. Seit Flug 27, am 18. Juli 2016, wurden ernsthafte Probleme bei der Landung selten, und es kann von einem routinierten Landeverfahren bei SpaceX gesprochen werden.

Die Falcon 9 wurde jedoch nie wirklich für eine solche Landung konstruiert. SpaceX unternahm die ersten Landeversuche bereits mit der Falcon 1 und den ersten beiden Flügen der Falcon 9, deren Raketenstufen jeweils mit einem Fallschirm ausgestattet wurden. Jedoch zerbrachen die Raketenstufen schon bei der Rückkehr in die Erdatmosphäre durch die zu hohen aerodynamischen Kräfte und die thermische Belastung. Deshalb führte SpaceX das Bremsmanöver vor dem Wiedereintritt ein.

Landungen mit der Falcon 9 besonders schwierig

Die vielen frühen Misserfolge von SpaceX, bis zur ersten erfolgreichen Landung nach Flug 20 am 22. Dezember 2015 , lassen sich durchweg auf fehlende Steuerkontrolle beim Wiedereintritt und das nie für Landungen entwickelte und dafür auch nur schlecht geeignete Merlin-1D-Triebwerk der Rakete zurückführen. Auch in der niedrigsten Einstellung übersteigt der Schub des Merlin-Triebwerks die Gewichtskraft der leeren Raketenstufe.

Die Rakete kann nicht schweben und langsam landen, denn sobald die Geschwindigkeit der Rakete Null erreicht, steigt sie wieder auf. Stattdessen muss die Stufe im freien Fall mit dem Triebwerk gebremst und so ausgesteuert werden, dass die Geschwindigkeit genau über dem Erdboden Null erreicht. Dann muss das Triebwerk sofort abgeschaltet werden.

Kleine Fehler bei diesem sogenannten Hover-Slam, wie zuletzt bei Flug 367, führen zu gebrochenen Landebeinen und dem Verlust der Raketenstufe. Der Hover-Slam macht die Landung mit der Falcon 9 unnötig schwierig, mit geringen Toleranzen und Korrekturmöglichkeiten.

Das Problem der fehlenden Steuerkontrolle wurde durch die Gitterflossen gelöst. Nur beim ersten Flug mit den Gitterflossen, und später noch einmal im Jahr 2018 , gab es Probleme mit der Hydraulik. Zuvor hatte SpaceX vergebens versucht, die Verwendung von Flossen zu vermeiden und das Problem mit immer stärkeren Kaltgasdüsen zu lösen, was zu vielen unnötigen Fehlversuchen führte.

Der Hover-Slam bleibt ein grundlegendes Problem der Falcon 9, das nicht mehr zu beheben ist, da SpaceX kein Interesse an einer grundlegenden Weiterentwicklung der Merlin-Triebwerke oder der Rakete mehr hat. Dazu kommen andere Probleme.

Die Falcon 9 ist keine besonders gute Rakete

Die Falcon 9 ist so dünn und lang, weil sie von Kalifornien über öffentliche Straßen nach Florida gefahren wird. Dadurch ist ihr Durchmesser auf 3,66 Meter begrenzt, um noch unter Brücken hindurchzupassen. Das verringert die Stabilität der Rakete und erhöht sowohl die thermische als auch die mechanische Belastung.

Mit einem größeren Durchmesser könnte die Rakete auch Treibstoff aufnehmen. Die Merlin-1D-Triebwerke(öffnet im neuen Fenster) hätten genug Schubreserven, um auch eine zehn Prozent schwerere Rakete etwas schneller abheben zu lassen als eine Saturn V. Zudem müssen die Triebwerke vor jedem Start mit großem Aufwand gereinigt werden, weil die Merlin-Triebwerke stark rußen. Die Falcon 9 ist zwar die erste wiederverwendbare Rakete, durch ihre vielen Probleme aber keineswegs eine besonders gut wiederverwendbare Rakete. Das gilt aber für alle ersten Exemplare einer neuen Technik.

Alle wiederverwendbaren Raketen, die sich heute in Entwicklung befinden, verwenden von Anfang an Flossen zur Lagekontrolle und Triebwerke mit sauber verbrennenden Treibstoffen, die ohne aufwendige Reinigung wiederverwendet werden können und deren Schub vor der Landung so weit gedrosselt werden kann, um den Hover-Slam zu vermeiden. Damit ist dort eine schnelle und vergleichsweise reibungslose Entwicklung zu erwarten.

Zuverlässigkeit duldet keine Experimente

Nachdem die anfänglichen Probleme unter Kontrolle waren und die engen Toleranzen bei der Landung eingehalten werden konnten, kam es im regulären Betrieb der Falcon 9 noch zu vier Problemen. Anfang 2016 verhinderte Eis auf der Rakete beim Start von Jason 3, dass eines der Landebeine einrastete. 2018 geriet eine Stufe bei Flug 65 durch Hydraulikprobleme außer Kontrolle. 2020 scheiterten die Landungen beim Hover-Slam während der Flüge 81 und 83 durch falsche Winddaten vor der Landung und Reste von Putzmitteln in einem Sensor - beides konnte nicht mehr kompensiert werden. Das vierte Problem war nun die Landung vom 28. August 2024.

Bei Flug 108 der Falcon 9 wurde die Landung nicht versucht, nachdem beim Start ein Triebwerk ausgefallen war und die Treibstoffreserven für die Landung nicht mehr ausreichten. Ein experimentelles Landeverfahren, bei dem statt nur einem drei Triebwerke zum Abbremsen kurz vor dem Hover-Slam gezündet wurden, war 2016 für zwei Landungen verantwortlich, die mit Trümmern und Löchern im Landedeck der Schiffe(öffnet im neuen Fenster) endeten. Das waren die Flüge 22 und 26. Die Erfolgschancen waren schon im Vorfeld als klein bezeichnet worden, weil die kurze Reaktionszeit die ohnehin kleinen Toleranzen weiter einengte. SpaceX verzichtete daraufhin auf solche Experimente.

Bei der Falcon Heavy gingen während der ersten drei Flüge alle Zentralstufen verloren, zwei davon durch die zu hohe Belastung beim Wiedereintritt. Die Zentralstufe muss schneller fliegen als eine Falcon 9, um mit der Rakete eine höhere Nutzlast zu ermöglichen. Nur eine Stufe landete beim zweiten Flug erfolgreich, ging dann aber durch hohen Wellengang verloren. Der relativ kleine Satellit beim zweiten Flug hätte eigentlich auch mit einer Falcon 9 ohne Wiederverwendung gestartet werden können. Danach verzichtete SpaceX auf Versuche zur Wiederverwendung der Zentralstufe der Falcon Heavy, aber die Seitenbooster kehrten bei allen Landeversuchen erfolgreich zurück.

Die Landung von Raketen ist ein gelöstes Problem

Die Landung von Raketen, die seit dem DC-X-Programm der 1990er Jahre nicht nur von SpaceX demonstriert wurde, kann als ein technisch gelöstes Problem betrachtet werden. Die Lösung muss nur technisch korrekt implementiert werden. Dazu müssen vor allem die Sensor- und Steuertechnik, das Flugverhalten und die Belastung der Raketenstufen korrekt modelliert werden und die restliche Raketentechnik funktionieren, die bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Instrumente verwendet.

Das Beispiel der New-Shepard-Rakete von Blue Origin zeigt, dass erfolgreiche Landungen selbst ohne ein Testprogramm mit einer Rakete in voller Größe möglich sind. Die Firma entwickelte die Landetechnik mit deutlich kleineren Prototypen zwischen 1998 und 2006, zuerst mit einer Drohne mit Jet-Triebwerk und später mit einem Prototyp namens Goddard mit BE-1-Raketentriebwerken, der drei Flüge bis in eine Höhe von 85 m unternahm. Es gab einen weiteren Prototyp namens PM-2, ausgestattet mit drei BE-2-Triebwerken, die Wasserstoffperoxid und Kerosin verbrannten. Er flog 2011, explodierte jedoch bei einem Testflug in der Luft.

Die New Shepard mit einem BE-3-Triebwerk unternahm nie kleine Testflüge wie die Falcon 9, auf wenige Hundert Meter Höhe. Beim ersten Flug der New Shepard auf 90 km Höhe verhinderte nur ein Hydraulikproblem die Landung. Seither landete sie immer zuverlässig, abgesehen von einem Triebwerksausfall schon während des Fluges. Auch die New Glenn , die noch immer zusammengebaut wird, soll bei ihrem ersten Flugversuch im Oktober 2024 sofort einen Landeversuch unternehmen.

Wiedereintritt ohne Raketentriebwerk mit viel Vorsicht

Rocketlab gelang sogar die Bergung einer intakten ersten Stufe ihrer Electron-Rakete auf dem Flug zum Orbit ganz ohne jedes Bremsmanöver, nur mit einem Fallschirm, wie einst von SpaceX erhofft. Das war zuvor nur mit den Seitenboostern des Spaceshuttles und der Ariane 5 möglich, vor allem durch deren niedrigere Geschwindigkeit bei der Abtrennung und ihren schweren und robusten Stahlgehäusen. Der einfache Aufbau und Schäden beim harten Aufprall auf die Wasseroberfläche machten die Wiederverwendung von Feststoffboostern jedoch unwirtschaftlich.

Die Electron ist dagegen leichter und landet viel sanfter im Wasser. Einige Bauteile und ein Triebwerk geborgener Raketenstufen wurden bereits wiederverwendet, die Wiederverwendung einer kompletten Raketenstufe(öffnet im neuen Fenster) ist in Arbeit.

Möglich wurde die Landung durch eine genaue Analyse der thermischen und aerodynamischen Belastung beim Wiedereintritt und eine dementsprechende genaue Lagekontrolle, die zusätzliche Masse für Hitzeschutzschilde minimierte. Die Raketenstufe kann deshalb mit voller Geschwindigkeit und leeren Treibstofftanks abgetrennt werden.

Die Leistung wird nur durch das Zusatzgewicht des Fallschirms und den Reserven für die Lagekontrolle gemindert. Mit der so gewonnenen Erfahrung will das Unternehmen nun der Falcon 9 von SpaceX Konkurrenz machen.

Es kündigt sich echte Konkurrenz zu SpaceX an

Die größere Neutron-Rakete soll durch ihre Bauform ebenso ohne Bremsmanöver zum Wiedereintritt auskommen und soll die Triebwerke bei ihrem ersten Flug im nächsten Jahr erst bei der Landung wieder zünden. SpaceX gelang es nicht, mit der Falcon 9 ein ähnliches Verfahren zu entwickeln. Vermutlich ist die Rakete dafür zu schwer, zu lang und zu dünn. Die aerodynamische Hitzebelastung der Falcon 9 ist dadurch besonders groß.

Mit einem größeren Durchmesser würde sich die Energie beim Abbremsen letztlich auf einer größeren Fläche verteilen. Durch die große Länge kann es außerdem passieren, dass vor der Raketenstufe durch Kompression bis zum Plasma aufgeheizte Luft in Kontakt mit den oberen Bereichen der Raketenstufe gerät und sie zum Schmelzen bringt. So musste selbst SpaceX die Gitterflossen aus Titan bauen, nachdem die früher verwendeten Flossen aus Aluminium bei anspruchsvolleren Missionen in der Luft verbrannten.

Die Neutron stellt mit einer fest integrierten Nutzlastverkleidung und integrierten Halterungen der zweiten Raketenstufe, die dadurch besonders leicht und günstig gebaut werden kann, eine ernsthafte und technisch überlegene Konkurrenz zur Falcon 9 dar. Um konkurrenzfähig zu sein, muss die Neutron allerdings eine ähnliche hohe Startrate wie die Falcon 9 erreichen. Mit bislang über 50 Flügen der Electron, davon zehn allein bis Ende August im Jahr 2024, hat die Firma gezeigt, dass sie zumindest auf dem besten Weg dahin ist.

Auch das Starship ist nicht perfekt

Das steht im Gegensatz zur New Glenn von Blue Origin, deren wasserstoffbetriebene zweite Stufe im Verhältnis als zu komplex, zu schwer und zu teuer erscheint, zumal Rocketlab deutlich mehr Flugerfahrung vorweisen kann. Zumal die Neutron den Aufbau von Satellitenkonstellationen erlauben würde, ohne gleichzeitig die Konkurrenz von SpaceX und Amazon finanziell zu fördern.

Außerdem befinden sich in China und den USA noch weitere Raketen ähnlicher Größe und Bauart der Falcon 9 in der Entwicklung, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen werden.

Derweil hofft SpaceX, dieser Konkurrenz mit der Entwicklung des vollständig wiederverwendbaren Starship zuvorzukommen. Doch dessen Wirtschaftlichkeit ist fraglich. Im Vergleich zur Größe des Starship, der hohen Effizienz der Triebwerke und dem Aufwand für die Infrastruktur ist die Nutzlast sehr bescheiden. Das Starship droht zu einem SpaceX-Spaceshuttle zu werden, dessen beeindruckende Technik nicht den versprochenen Nutzen hat und von optimierter herkömmlicher Technik übertroffen wird.

Das wird in einem weiteren Artikel diskutiert.


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