Star Citizen: Detailverliebtheit, die an Wahnsinn grenzt

Ein normaler Tag in Lorville: Ein Pilot steht auf und geht aus seinem winzigen Habitat. Auf dem Flur dampft es aus Ventilatoren, KI-gesteuerte Figuren laufen auf den Straßen. An den Wänden hängt ein Werbeposter des neuen Kanonenboots Anvil Hammerhead. Es erinnert an alte Filmplakate des Klassikers Der weiße Hai. Ein Schwenk in den Himmel zeigt die futuristischen Hochhäuser, die an Ridley Scotts düsteren Sci-Fi-Film Blade Runner erinnern. Der Pilot ist auf dem Weg in die Bar, wo ein Kontaktmann auf ihn wartet. Derweil spielt bombastische Synth-Musik im Hintergrund.
Das, was Chris Roberts und sein Team von Entwicklern auf der Star-Citizen-Fankonferenz Citizencon 2948 - im Jahr 2018 - vorstellen(öffnet im neuen Fenster) , ist Detailverliebheit bis in jede Ecke der riesigen virtuellen Stadt Lorville, die sich auf dem von Industriesmog verseuchten Planeten Hurston befindet. Auf der einen Seite sind wir erstaunt, wie viel sichtbare Arbeit die Entwickler in Animationen, Partikeleffekte und von Rohren, Kabeln und Klimaanlagen übersäte Kulissen stecken. Kein anderes Spiel, das wir kennen, legt darauf so viel Wert. Auf der anderen Seite stellt sich uns die Frage: Warum?

Seit vielen Jahren entsteht Star Citizen, das bisher zu großen Teilen von Crowdfunding finanziert wird. Die Spielwelt umfasst momentan gerade einmal einen Gasriesen, eine Handvoll Raumstationen und drei Monde. Der Planet Hurston folgt zu einem späteren Zeitpunkt, in einer späteren Version des kommenden großen Inhaltsupdates 3.3. Wir rekapitulieren: Star Citizen soll einmal knapp 100 Sternensysteme mit jeweils mehreren Planeten und Monden haben, die begehbar sind, die sich um ihre eigene Achse und um den Stern in der Mitte drehen.
Chris Roberts' Team träumt von einer möglichst realistischen Welt. Die Spieler hingegen träumen auch von einem möglichst fertigen Spiel. Da zählt es vorerst, spielbaren Inhalt abseits von immer teurer werdenden Schiffen hineinzubringen. Das bedeutet für uns: mehr Aufgaben, ein Handelssystem mit schwankenden Preisen, Kopfgelder, Bergbau und Schrottsammeln, Passagierbeförderung, Forschung, Landwirtschaft und Schmuggel. Vieles davon fehlt noch immer.
Schiffe, deren Zweck noch nicht einmal programmiert ist
Stattdessen wird auf der Konferenz ein weiteres Raumschiff unter vielen vorgestellt. Das Landungsschiff Anvil Valkyrie, das 400 US-Dollar kostet, soll irgendwann einmal Personen und Fahrzeuge in Kampfgebiete transportieren. Irgendwann einmal ist ein Synomym für viele auf der Citizencon gezeigte Dinge: Irgendwann einmal soll es in den bisher gezeigten Biotopen eine lebendige Tierwelt geben. Irgendwann einmal sollen Spieler ihre Schiffe mit Werkzeugen reparieren können, irgendwann einmal soll sogar ein Brand in der Schiffskabine unsere Sauerstoffreserven verbrauchen.
Der innere Nerd in uns sagt uns: Das ist geil, wenn sich jedes einzelne Scharnier einer Luftschleuse bewegt. Es ist genial, wenn sich die Schubdüsen unseres dicken Raumfrachters realistisch drehen und es ist einzigartig, wenn sich ein Raumschiff unterschiedlich fliegt, je nachdem wie dick die virtuelle Atmosphäre ist. Allerdings sollte das nicht die Priorität sein. Wir kommen auch ohne all diese Kleinigkeiten aus, solange wirklich relevante Inhalte geliefert werden.
Ein Paradebeispiel für den Übereifer der Entwickler ist ebenfalls in der gezeigten Demo zu sehen. Auf dem Weg zum Raumhafen nutzt der Spieler ein voll funktionsfähiges Metro-System, samt mehrerer Stationen, Bahnhofskarte und Warten auf den Zug. Scherzweise kommentiert Roberts das mit "Wir spielen eine Pendler-Simulation" . Später soll es auch KI-gesteuerte Gäste geben, die in Züge ein- und aussteigen. So beeindruckend und immersiv das ist: Niemand hat danach gefragt. Und trotzdem wird es den öffentlichen Nahverkehr noch vor Kernversprechen wie in einer funktionierenden Scanmechanik geben.
Beispiel Nummer zwei: Im Spiel zeigt das Team die Funktion namens Face over IP. Mit zusätzlicher Hardware scannt das Spiel die Emotionen von Spielern und überträgt diese auf die Spielfigur. Im Spiel können wir das Multitool benutzen, um Videoanrufe mit anderen Spielfiguren durchzuführen. Das Ergebnis quittiert das Publikum mit humorvollem Gelächter, denn Gesichtszüge bewegen sich noch kaum - eine sichtlich unfertige und wohl unsinnige Spielerei, die das Team auch entwickeln könnte, wenn das Spiel fertig ist.
Es geht auch anders
Dabei zeigt Star Citizen im gezeigten Zustand so viele interessante Funktionen, die Spieler zum Spielen anregen würden. In Stufen aufgeteilte Aufgaben sind so ein Beispiel. Auf der Suche nach dem Prototypen einer Serverplatine stoßen die Spieler auf das Wrack eines Raumschiffs. Währenddessen zeigt Cloud Imperium Games die diversen prozedural generierten Biotope des Planeten, von verseuchten Stränden bis hin zu grünen Savannen - ein schöner Anblick.
Das richtige Serverteil findet der Protagonist der Demo nur durch Handarbeit. Dabei wird das bereits implementierte Inspizieren von Gegenständen genutzt, um die Beschriftung auf den Server-Blades lesen zu können. Der Prototyp ist nicht da. "Hier könnte die Mission bereits enden" , kommentiert Chris Roberts. Wie der, in diesem Fall sicherlich gewollte, Zufall es so will, muss die Gruppe sich allerdings auf die Suche nach dem fehlenden Teil begegeben: Phase zwei der Mission führt sie in eine von KI-Banditen besetzte unterirdische Einrichtung.
Battlefield-Momente kommen zu kurz
Die Bots schießen bereits zurück, treffen aber nicht. Auch Laufrouten sind kaum vorhanden. Das ist ebenfalls noch eine massive Baustelle, die eigentlich ein Primärziel der Entwickler sein sollte. Denn eine Spielwelt kann noch so detailliert und beeindruckend sein, ohne Leben ist sie steril und bedeutungslos. Zumindest laufen, oder in einigen Fällen zappeln, KI-Bürger bereits auf Stationen und Städten herum.

Während der Demonstration gibt es auch ein wenig Spieler-gegen-Spieler-Action zu sehen, ein Teil, der unserer Meinung nach noch immer vernachlässigt wird. Wir staunen über diese wunderbaren Momente, wenn zwei Piloten im Space-Buggy Tumbril Cyclone aus dem fliegenden Raumschiff springen und ohne Ladezeiten auf dem Boden landen - besser als Battlefield. Dass das reibungslos klappt, ist dem Object Container Streaming zu verdanken. Dieses System lädt nur Inhalte, die die Spieler unmittelbar sehen oder mit ihnen interagieren. Dadurch steigen die Bildraten auf spielbare Werte an, was ein essenzieller Bestandteil eines guten Spielerlebnisses ist.
Allerdings wird es diese Technik erst zu einem späteren Zeitpunkt geben - zusammen mit Transitzügen und bis ins kleinste Detail animierten Objekten. Über die Einzelspielerkampagne Squadron 42 mit funktionierender KI wollen wir gar nicht erst nachdenken. Einen Releasetermin nannte Cloud Imperium Games mal wieder nicht. Dann warten wir derweil auf den virtuellen Zug - und auf die Citizencon 2919.