Urheberrecht: Mein Plattenladen heißt Herunterladen

Sven Regener schimpft und wird beschimpft . 51 Tatort-Drehbuchautoren(öffnet im neuen Fenster) sind sauer und werden gescholten. Der Chaos Computer Club antwortet und kriegt eins auf die Mütze. Alle kloppen sich. Und zwar wegen Urheberrechten sowie einer Partei, die die Piraterie im Namen trägt. Piraten und Netzaktivisten befürchten eine Welt, in der Firmen wie Disney und Bertelsmann auf jedes geschriebene Wort, jede gepfiffene Melodie und jede Zeile Programmcode sofort ihren Copyright-Stempel draufknallen, dem Urheber dafür anderthalb Cent hinwerfen, das Werk die nächsten 180 Jahre in den Kerker sperren und nur für horrende Summen herauslassen. Die Musiker, Schriftsteller und Filmemacher hingegen befürchten eine Entwicklung, bei der ihre gesamte Arbeit von gierigen, bleichen Computerkindern ins Netz gestellt wird und sie beziehungsweise wir alle verhungern.
Es gibt zwei Dinge, die mich daran stören.
Zum einen die Hysterie. In den beiden oben geschilderten Szenarien steckt der gleiche Denkfehler: Man beobachtet eine Entwicklung, verlängert sie in die Zukunft und gerät in Panik. Das ist so, als säße ich auf dem Beifahrersitz eines Autos, das an der Ampel losfährt, würde den Tacho beobachten und sagen: Verdammt, jetzt haben wir schon in sieben Sekunden von null auf fünfzig beschleunigt, wenn das so weitergeht, werden wir demnächst die Schallmauer durchbrechen, da sollte ich jetzt besser mal dem Fahrer laut schreiend ins Steuer greifen und den Wagen gegen die nächste Wand lenken.
Und zum anderen: Alle reden immer nur von den anderen. Niemand redet von sich selbst. Aber wenn man herausfinden will, wie Menschen funktionieren, ist es meistens genau die richtige Strategie, von sich auf andere zu schließen. Diese Lücke würde ich also gern schließen und ein wenig von mir selber reden, von meinem Leben als Produzent und Konsument urheberrechtlich geschützter Werke.
Was nützt mir schöne Musik ohne die Textrechte?
Bis zum 20. Geburtstag las ich eigentlich nur Bücher. Die meisten davon aus öffentlichen Bibliotheken. Ab und zu holte ich mir einen Film aus der Videothek. Alle paar Monate kaufte man bei Drogerie Müller eine CD aus dem Independent-Regal.
Die Jahre zwischen 20 und 24 verbrachte ich mit untergeordneten Tätigkeiten am Filmset sowie der Arbeit an einem Musikprojekt, das nie an die Öffentlichkeit gelangte. Ich hatte diverse Gedichte von Michael Ende vertont, die Lieder finde ich bis heute recht schön, öffentliche Aufführungen waren aber aufgrund der Textrechte immer nicht ganz einfach, und als sich irgendwann die eine oder andere Plattenfirma dafür interessierte, wurde es richtig kompliziert und verlief dann irgendwie im Sande.
Später, als ich dann auf der Filmhochschule war, arbeitete ich eine Zeit lang nebenher für eine Musikvideofirma. Wir bekamen von den großen Plattenfirmen neue Songs. Das meiste war schlimmer Kaugummiplastikpop. Im Jargon der Plattenfirmen waren das aber Newcomer, in die man jetzt erheblichen finanziellen Aufwand steckte, ihnen ein Video für durchschnittlich 20.000 bis 40.000 Euro drehte, das dann auf MTViva laufen sollte, damit die Kids das gut finden und die dazugehörige Single und am besten auch das Album erwerben konnten.
Ich war in dieser Zeit irgendwie nicht so gut auf die Musikindustrie zu sprechen und kaufte kaum Musik. Über unseren langsamen ISDN-Anschluss lud ich aber auf Verdacht allerhand herunter, das meiste war nicht so interessant, einiges haute mich um und führte zu CD-Erwerb und Konzertbesuch.
Ich kaufte viel und lud noch mehr herunter
Die erste Musikvideofirma ging Ende 2002 pleite, aus den Trümmern formierte sich eine neue, dort arbeitete ich eine Zeit lang als Regieassistent. 2006 lernte ich ein Mädchen kennen, das Platten auflegte und nichts als Musik im Kopf hatte. Ich betrat eine neue Welt. Auf einmal war alles voller Bands, die kein Schwein kannte und die wundervolle Musik machten, aus Blogs, auf denen man jede neue Platte herunterladen konnte, und dass man sie sich bei Gefallen dann auch kaufte, war eh klar.
Mein Musikkonsum schnellte in die Höhe, ich lud mehr herunter, als ich anhören konnte, kaufte Tonträger, hatte auf einmal zahlreiche neue Lieblingsbands, ging auf Konzerte, legte mir einen Plattenspieler zu, wühlte in Plattenläden herum, wir gründeten mit einem dritten Freund eine Musikzeitschrift, die nur eine Ausgabe erlebte, und veranstalteten gemeinsame DJ-Abende, auf denen wir nur Sachen spielten, die wir selber toll fanden.
Copyright auf unseren Alltag
Im selben Zeitraum arbeitete ich am Drehbuch für meinen zweiten Langfilm und konnte es nicht fassen: Ich wurde zum ersten Mal im Leben nennenswert bezahlt. Wenn man sein Glück nicht fassen kann, dass man für das, was man da tut, auch noch Geld kriegt, ist man ja angeblich im richtigen Job gelandet. Wobei andererseits das Schreiben von Drehbüchern mit dem Begriff Arbeit ja durchaus ganz gut beschrieben ist. Ein Spaziergang ist es nämlich nicht.
Was beim Filmemachen aber immer wieder wahnsinnig nervt, ist das Copyright, das auf jedem Furz drauf ist. Klingeltöne sind vermintes Gelände, jedes Bild, das irgendwo an der Wand hängt, ist ein potenzielles Problem, man darf nicht Happy Birthday singen, das Radio muss um Gottes Willen aus sein. Die Alltagswelt, in der wir leben und die wir ja im Film verdammt nochmal zeigen wollen, besteht immer mehr aus urheberrechtlich geschützten Dingen.
Ich werde nicht reich und mache niemanden arm
Über all die Jahre habe ich übrigens kaum Filme gekauft. Auf DVD nicht, weil die Auflösung im Vergleich zum Kino immer noch ein Witz ist. Auf Blu-ray auch nicht, weil ich keinen Sinn darin sehe, einen Film, den ich mir höchstwahrscheinlich nur einmal ansehe, mir für Jahrzehnte ins Regal zu stellen.
Zur Videothek gehe ich fast nie. Zu umständlich, wenn man abends um 22 Uhr 30 beschließt, noch einen Film zu gucken, und dann muss irgendjemand das Ding auch noch zurückbringen. Gäbe es einen gut sortierten Video-On-Demand-Streamingdienst, ich wäre mit Begeisterung dabei. Ach, den gibt es schon? Stimmt, iTunes. Kürzlich kamen wir auf die Idee, man könnte sich den Klassiker Und täglich grüßt das Murmeltier ansehen. Den gibt es bei iTunes - zum Kaufen, für 7,99 €. Ich glaube, das kann man noch besser machen.
Musik lade ich weiterhin gern herunter, bei iTunes und Amazon und von den Künstlern direkt, aber auch von irgendwelchen Blogs. Platten kaufe ich auch weiter, Bücher ebenso. Seit gut einem Jahr drehe ich auch wieder Musikvideos. Fast alle für eine kleine, sympathische Plattenfirma in Hamburg. Viel Geld ist da nie im Spiel, aber es macht Spaß. Meinen Lebensunterhalt bestreite ich mit Drehbüchern und Regie für Spielfilme. Reich bin ich dadurch bisher nicht geworden, aber das war auch nicht das Ziel, wobei ich andererseits überhaupt nichts gegen Reichtum einzuwenden hätte, falls er sich mal einstellen sollte.
Was lernen wir daraus?
Hätte Michael Ende seine Gedichte unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, dann hätten wir unsere Lieder damals ungestört überall aufführen können, auf dieser Basis hätten wir uns eine gewisse Bekanntheit erarbeitet, dann hätten wir eine Platte gemacht und für selbige natürlich ganz klassisch die Rechte geklärt. Niemandem wäre etwas weggenommen worden, die Welt wäre immerhin um eine (vermutlich folgenlose) CD reicher.
Das System aus Majorlabels und ihren gecasteten Horrorgestaltenbands, die dann an die Wand geworfen wurden und meistens geräuschlos herunterfielen, soll meinetwegen zur Hölle fahren. MTViva sind ja schon dort, die Majorlabels sind für mein subjektives Gefühl auch immer egaler geworden. Mittlerweile scheint ihnen aber selber aufgefallen zu sein, dass man auch mit Substanz Platten verkaufen kann, und sie versuchen, wieder etwas seriöser zu wirken.
Wenn ich meinen Konsumenten-Lebenslauf anschaue, dann habe ich über die Jahre schon einiges für kulturelle Produkte ausgegeben, aber keine Unsummen. Wohnung, Essen und Kleinkram waren teurer. Selbst mein Freund Ralph, der rund vier Tonnen Schallplatten in seiner Wohnung hortet, gibt schätzungsweise immer noch mehr für die Krankenkasse aus als für Vinyl.
Auch ein Download kann ein Liebesbeweis sein
Der Schlüssel zum Habenwollen ist, schlicht und ergreifend: Liebe. Auf dem Haldern Pop Festival hörte ich 2006 eine Band namens Guillemots. Gegen ihre Songs klang alles andere wie einfallsloses Gedudel. Ich kaufte, kopierte, überspielte, bestellte, holte mir alles, was ich von ihnen kriegen konnte. Wenn ein Buch, ein Film oder ein Lied mich wirklich berührt, dann berührt es eine ganz andere Abteilung in meinem Kopf als die Finanzverwaltung. Und das ist auch das Geschäftsmodell der Indie-Labels, deren Musik ja das vergangene Jahrzehnt maßgeblich geprägt hat. Die machen Musik, die von Leuten wirklich geliebt wird.
Denn das ist doch der Unterschied zwischen unserer Arbeit und dem Herstellen eines Tisches. Der Tischler steckt garantiert genauso viel Liebe in seinen Tisch wie ich in ein Drehbuch - aber der Kunde liebt ein Lied mehr als einen Tisch. Dafür gibt es andererseits eher wenig Geld für verdammt viel Arbeit. Und - Achtung, Knackpunkt - niemand garantiert dir, dass die Liebe, die du in deine Arbeit steckst, am Ende vom Publikum erwidert wird. Du gehst allein in einen dunklen Wald, du singst dabei lauthals ein Lied, und du kannst nur hoffen, dass in dem Wald Leute wohnen, die dein Lied lieben werden.
Ich behaupte, dass die meisten Menschen da ziemlich ähnlich funktionieren wie ich: Wenn wir etwas lieben, wollen wir es haben - oder noch besser: daran teilhaben. Indem wir ins Kino gehen oder ein Konzert besuchen oder ein Buch überallhin mitschleppen. Der ganze Rest ist Hintergrundrauschen, läuft im Radio, steht zufällig im Regal, liegt auf irgendeiner Festplatte herum.
Und dabei kann auch ein Download ein Liebesbeweis sein. Es gibt nämlich zwei Sorten von illegalen Kopien. Die Liebeskopie, die oft später in einen Kaufakt mündet, und die Mir-doch-egal-Kopie, die zu Datenleichen auf der Festplatte führt. Erstere kann ein wirtschaftlicher Schaden für den Künstler sein, kann sich auf lange Sicht aber auch lohnen. Letztere ist kein Schaden, denn der Kopist hätte das Werk ja so oder so nicht gekauft.
Chillt mal drauf! Kommt runter!
Wenn die Piratenpartei nun Schutzfristen verkürzen will - meinetwegen. Ich fände es völlig okay, wenn meine Werke mit meinem Tod ans Universum zurückfallen würden. Da habe ich sie ja schließlich auch her. Es sei denn, ich hätte Frau und Kinder und würde mit 40 den Löffel abgeben, dann könnte man ja den 80. Geburtstag oder sowas nehmen.
Insgesamt möchte ich in dieser tobenden Schlacht sagen: Regt euch ab, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Filesharing ist mittlerweile eine riskante Sportart, Kino.to und Megaupload sind tot, andere werden folgen. Chillt mal drauf. Kommt runter.
Meine Lebenserfahrung zeigt: Ich hatte mit vielen Leuten, Firmen und Instanzen zu tun, einige waren cool, andere uncool, aber nur die große Musikindustrie hat sich benommen wie ein betrunkener Dreijähriger. Menschen verhalten sich meistens ähnlich, nämlich menschlich, also ungefähr so wie ich. Firmen verhalten sich jedoch gern auch mal wie Psychopathen. Ich habe also den leisen Verdacht, dass es für Kunst und Kultur gut sein könnte, wenn einige Dinge sich ganz vorsichtig ein wenig in die Richtung verschieben, wie sie von Netzaktivisten gefordert wird - kürzere Fristen, mehr Freiheiten. Und dabei geht es nicht um die unrealistischen Maximalforderungen, die man in die Debatte hinaustrompetet, sondern um kleine, vorsichtige Schritte. Und dann könnte ich vielleicht in meinem nächsten Film auch ein Nokia-Handy mit dem Nokia-Ton klingeln lassen.
Dietrich Brüggemann ist Filmemacher, dreht nebenher Musikvideos und schreibt für das Filmmagazin Schnitt. Der Text "Mein Plattenladen heißt Herunterladen" erschien zuerst in seinem Blog D-trick.de(öffnet im neuen Fenster) . Für Golem.de wurde er gekürzt und bearbeitet.