Nacktschnecke

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Tigerschnegel (Limax maximus)

Nacktschnecken sind Schnecken, die ihr ursprüngliches Gehäuse weitgehend reduziert oder es in den Weichkörper hinein verlegt haben. Sie können sich zumindest im Erwachsenenstadium nicht mehr zum Schutz in ihr Gehäuse zurückziehen. Nacktschnecken bilden keine einheitliche systematische Gruppe, sondern der Prozess der Gehäusereduktion hat konvergent in verschiedenen Schneckengruppen stattgefunden. Zu einigen Familien gehören sogar Gehäuseschnecken und Nacktschnecken oder „Halbnacktschnecken“. Im Allgemeinen ist der Begriff Nacktschnecke auf Vertreter der Landlungenschnecken beschränkt, obwohl der Prozess der Gehäusereduktion ebenfalls konvergent bei einigen Gruppen von Meeresschnecken stattgefunden hat. Diese werden dann zur Unterscheidung meist Meeresnacktschnecken genannt. In erster Linie versteht man unter dieser Bezeichnung die größte und bekannteste Gruppe von im Meer lebenden Nacktschnecken, die Nacktkiemer (Nudibranchia).

Das Gehäuse der Schnecken – Vorteile und Nachteile

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gehäuse der Schnecken ist in der Regel ein Exoskelett und wird auch als Schneckenhaus bezeichnet. Es ist ein ursprüngliches Merkmal der Schnecken, das bereits für die letzte gemeinsame Stammart aller Schnecken angenommen werden kann. Die Stammart lebte zu Beginn des Kambriums im Meer und vererbte dieses Merkmal an alle daraus entstandenen Gruppen. Es diente der Stammart als Schutzgehäuse, in das sich das Tier bei Bedrohung zurückziehen konnte. Wahrscheinlich konnte die Mündung des Gehäuses schon damals zusätzlich durch ein Operculum verschlossen werden. Allerdings bietet selbst dieses Gehäuse nur bedingten Schutz gegen Räuber, wie die zahlreichen Beispiele von spezialisierten Schneckenräubern zeigen. Im Laufe der Evolution erfuhr dieses (Schutz-)Gehäuse äußerst vielfältige Abwandlungen, wie die große Formenvielfalt der fossilen und rezenten Schnecken zeigt. Unter den Schnecken gibt es einige Gruppen, die das Gehäuse teilweise, weitgehend oder völlig reduziert haben. Diese Gruppen haben andere Schutzmechanismen entwickelt oder benötigen den Schutz durch das Gehäuse aufgrund ihrer Lebensweise nicht (mehr). Beispielsweise enthalten die im Meer lebenden Nacktkiemer (Nudibranchia) starke Toxine, die sie von gefressenen Hydrozoen in ihrem Gewebe sequestrieren.[1] Dies signalisieren sie potenziellen Prädatoren durch einen auffälligen Aposematismus (Warnfarben). Viele auf dem Land lebende Nacktschnecken verbergen sich einen Großteil ihres Lebens in der Erde. Andere Gruppen schützen sich durch Absonderung von reichlich Schleim, der zudem für einige potenzielle Prädatoren widerlich schmeckt oder auch giftig sein kann. Andere Nacktschnecken haben eine relativ versteckte Lebensweise und/oder gleichen die eventuellen hohen Individuenverluste, die sie wegen ihrer Fressfeinde erleiden, durch entsprechend viele Nachkommen wieder aus.

Chromodoris magnifica, Nudibranchia

Bei den Landschnecken hat das Gehäuse noch eine wesentliche zweite Funktion übernommen, den Schutz vor Austrocknung. Die Reduktion des Gehäuses bei diesen Gruppen setzt daher auch die Entwicklung von anderen effektiven Schutzmechanismen gegen Austrocknung voraus oder die Erschließung von entsprechend feuchten Lebensräumen, wo der Schutzmechanismus des Gehäuses gegen Austrocknung keine allzu große Rolle spielt. Nur extrem trockenwarme Biotope, die noch von einigen Gehäuseschnecken bewohnt werden können, bleiben den Nacktschnecken verschlossen.

Die Reduktion des Gehäuses bietet den Nacktschnecken auch einige Vorteile: Der wichtigste Vorteil ist die Einsparung von Energie, die die Gehäuseschnecken zum Aufbau ihrer Gehäuse aufwenden müssen bzw. zum Tragen der Gehäuse benötigen. Durch die Reduktion des Gehäuses gewinnen die Nacktschnecken deutlich an Beweglichkeit. Sie können über verhältnismäßig lange Strecken wandern und sich relativ rasch neue Biotope erschließen. Sie können unter Umständen Nahrungsquellen erschließen, die „normale“ Gehäuseschnecken nicht erreichen können.

Andere Gruppen leben vor allem unter und in der Erde. Sie jagen in ihren Gängen nach Regenwürmern. Hier wäre ein Gehäuse nur hinderlich. Auch zum Schutz können sich Nacktschnecken in engste Ritzen und Spalten zurückziehen, die ansonsten für Gehäuseschnecken unzugänglich bleiben.

Testacella maugei, Testacellidae

Prozess der Gehäusereduktion

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Prozess der Gehäusereduktion kann z. B. in der Familie der Glasschnecken (Vitrinidae) exemplarisch beobachtet werden. Zu der Familie gehören sowohl Gehäuseschnecken, d. h. Arten, die sich noch völlig in ihr Gehäuse zurückziehen können, als auch Arten, bei denen sich nur noch die Jugendstadien in das Gehäuse zurückziehen können sowie Arten, bei denen das rudimentäre Gehäuse bereits vom Mantel umwachsen wird. Der Prozess der unterschiedlich stark ausgebildeten Reduktion des Gehäuses bzw. der Verlust der Funktion sich in das Gehäuse zurückziehen zu können, bezeichnet man in dieser Familie auch als „Vitrinisierung“.

Der Prozess der Rückbildung der Gehäuse verlief in den einzelnen Gruppen unterschiedlich. Diese ist neben den morphologischen Unterschieden ein wichtiger Hinweis, dass die Reduktion des Gehäuses mehrfach in unterschiedlichen Schneckengruppen stattgefunden hat. Das kleine, stark reduzierte Gehäuse kann als kleine „Mütze“ auf dem hinteren Teil des Mantels sitzen (z. B. bei den Rucksackschnecken (Testacellidae)), oder teilweise (z. B. Papilloderma altonagai) oder völlig vom Mantel umschlossen sein. Bei anderen Gruppen befindet sich der phylogenetische Rest des Gehäuses im vorderen Teil des Körpers unter dem Mantelschild. Auch bei diesen Gruppen ist der Grad der Rückbildung sehr unterschiedlich. Während die Schnegel noch eine kleine, flache Gehäuseplatte besitzen, haben die Wegschnecken nur noch einige nicht zusammenhängende Kalkkörnchen in ihrem Mantelschild. Die Philomycidae haben das Gehäuse völlig reduziert; der noch vorhandene Schalensack ist leer.

Meghimatium fruhstorferi, Philomycidae

Nacktschnecken als Tiergemeinschaft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nacktschnecken bilden nicht nur in Hinsicht auf ihre Morphologie eine Tiergemeinschaft (aber kein Taxon), sondern auch im ökologischen Sinn. Relativ viele Nacktschnecken fressen frisches Pflanzenmaterial, und dadurch werden Nacktschnecken auch als wirtschaftliche Schädlinge als eine Einheit aufgefasst, die mit denselben Methoden und Mitteln bekämpft werden.

Auch in der Wissenschaftsgeschichte wurden Nacktschnecken als Einheit gesehen, die mit denselben Methoden erforscht wurden. Während das Vorkommen von Gehäuseschnecken in einer Region auch durch leere Gehäuse nachgewiesen werden kann, ist diese Methode für Nacktschnecken in aller Regel nicht anwendbar. Die kleinen Gehäuseplättchen der Schnegel z. B. sind unspezifisch bzw. andere Gruppen haben nur noch kleine Kalkdepots im Mantel, die sich nach dem Tod der Tiere völlig auflösen. Nacktschnecken können häufig nur sicher bestimmt werden, wenn sie leben und zudem geschlechtsreif sind. Nacktschnecken sind daher nicht nur aus ästhetischen Gründen in Sammlungen unterrepräsentiert, sondern eben auch durch diese Einschränkungen. Gehäuse können zudem einfach in Sammlungen aufbewahrt werden, die Aufbewahrung von Nacktschnecken erfordert eine Konservierung in Alkohol oder anderen flüssigen Konservierungsmitteln. Liebhabersammlungen von Nacktschnecken existieren deshalb so gut wie gar nicht. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung und dem Nachweis machen die Nacktschnecken mit wenigen Ausnahmen zu einem wenig bekannten Forschungsgebiet. So werden laufend noch neue Nacktschneckenarten in wenig erforschten Regionen in Europa gefunden.

Nacktschnecken im System der Schnecken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die „Nacktschnecken“ sind keine taxonomisch-systematische Gruppe, wie bereits dargelegt wurde. Der Prozess der Gehäusereduktion trat in den verschiedensten Schneckengruppen auf. Die wichtigsten werden hier aufgelistet.

Selenochlamys ysbryda, Trigonochlamydidae
Rote Wegschnecke (Arion rufus)
Rote Wegschnecke (Arion rufus) beim Essen eines Pilzes

Meeresnacktschnecken

Landnacktschnecken

Auch in anderen Schneckengruppen (z. B. Helicoidea und Succineoidea), die man für gewöhnlich nicht mit Nacktschnecken assoziiert, findet sich gelegentlich in wenigen Arten die Tendenz zur Reduzierung des Gehäuses.

Eine Tasse mit vielen toten Schnecken
Bierfalle

Eine kleine Anzahl von Arten sind ernsthafte Schädlinge der Landwirtschaft und des Gartenbaus.

Natürliche Kontrollmaßnahmen sind vielfältig und bedienen sich biologischer oder mechanischer Wirkungsweisen:

  • Die Schnecken werden händisch eingesammelt, vor allem wenn sie an beliebten Stellen wie unter Rhabarberblättern, Brettern, Karton, feuchten Zeitungen oder nassen Tüchern Unterschlupf finden.
  • Natürliche Feinde sind Eidechsen, Salamander, Blindschleichen, Kröten, Ringelnattern, Igel und Laufkäfer. Steinmauern, Gartenteiche und Herbstlaub bieten Quartier für diese Fressfeinde.
  • Viele Pflanzen (z. B. Salbei) und Barrieren wie Mulchen, Eierschalen, Nadelstreu, Kaffeesud, Splitt und die sogenannte Schneckenbarriere, ein Abfallprodukt aus der Mehlerzeugung, halten die Tiere ab.
  • Bevorzugte Pflanzen, z. B. Tomatenblätter, locken die Nacktschnecken weg von den zu schützenden Nutzpflanzen.
  • Mechanische Barrieren, beispielsweise Schneckenzäune, Kupferbänder, Kupferdrähte und abgeschnittene Plastikflaschen, schützen Einzelpflanzen.
  • Bierfallen sind sehr effektiv und locken sogar Nacktschnecken der Nachbarschaft, aber auch viele Insekten an.
  • Nematoden sind mikroskopisch kleine Würmer, die die Nacktschnecken befallen und deren Tod herbeiführen.
  • Giftige Chemikalien und das Schneckenkorn auf Eisen(III)-phosphat-Basis, das nur für Schnecken giftig und für einen Biogarten zugelassen ist.[3]
  • Klaus Bogon: Landschnecken Biologie, Ökologie, Biotopschutz. 404 S., Natur Verlag, Augsburg 1990, ISBN 3-89440-002-1.
  • Philippe Bouchet & Jean-Pierre Rocroi: Part 2. Working classification of the Gastropoda. Malacologia, 47: 239–283, Ann Arbor 2005, ISSN 0076-2997.
  • Rosina Fechter und Gerhard Falkner: Weichtiere. 287 S., Mosaik-Verlag, München 1990 (Steinbachs Naturführer 10), ISBN 3-570-03414-3.
  • Dai Herbert & Dick Kilburn: Field Guide to the land snails and slugs of eastern South Africa. 336 S., Pietermaritzburg 2004, ISBN 0-620-32415-5.
  • Michael P. Kerney, R. A. D. Cameron & Jürgen H. Jungbluth: Die Landschnecken Nord- und Mitteleuropas. 384 S., Paul Parey, Hamburg & Berlin 1983, ISBN 3-490-17918-8.
  • Anatolij A. Schileyko: Treatise on Recent terrestrial pulmonate molluscs, Part 15 Oopeltidae, Anadenidae, Arionidae, Philomycidae, Succineidae, Athoracophoridae. In: Ruthenica, Supplement 2, 2007, S. 2049–2210, ISSN 0136-0027.
  • Anatolij A. Schileyko: Treatise on Recent Terrestrial Pulmonate Molluscs Part 11 Trigonochlamydidae, Papillodermidae, Vitrinidae, Limacidae, Bielziidae, Agriolimacidae, Boettgerillidae, Camaenidae. In: Ruthenica, Supplement 2, Nr. 11, 2003, S. 1467–1626, ISSN 0136-0027.
  • Andrzej Wiktor: Die Nacktschnecken Polens. 182 S., Monografie Fauny Polski, Polska Akademia Nauk Zakład Zoologii Systematycznej i Doświadczalnej, Warschau & Kraków 1973.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Rainer Martin, Paul Walther: Protective mechanisms against the action of nematocysts in the epidermis of Cratena peregrina and Flabellina affinis (Gastropoda, Nudibranchia). In: Zoomorphology, Band 122, Nr. 1, 2003, S. 25–32 (PDF).
  2. Fred G. Thompson, Edna Naranjo-García: Echinichidae, a new family of dart-bearing helicoid slugs from Mexico, with the description of a new genus and three new species (Gastropoda: Pulmonata: Xanthonychoidea). Archiv für Molluskenkunde, 141 (2), doi:10.1127/arch.moll/1869-0963/141/197-208, S. 197–208 (Vorschau PDF; 385 kB).
  3. Karl Ploberger: Schleimig, verfressen und ungeliebt. In: Kleine Zeitung. Kleine Zeitung GmbH & Co KG, Graz 5. Juli 2020, S. 20–21.
Commons: Nacktschnecke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Nacktschnecke – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen