9

[354] Sein Aufenthalt in Stuttgart hatte nur dem Bilde gegolten, das er in jener Galerie gefunden. Er war, als er die Hauptstadt W�rttembergs ber�hrte, auf einer Reise nach dem Rhein begriffen und dahin zog er nun weiter. Er gestand sich selbst, da� ihn die letzten Monate beinahe allzu weich gemacht hatten. Er f�hlte nicht ohne Besch�mung und leises Schaudern, da� sein Tr�bsinn, sein ganzes Dichten und Trachten schon nahe an Narrheit[354] gestreift hatten. Er war zwar unabh�ngig, hatte dieses Jahr noch zu Reisen bestimmt, ohne sich irgendeinen festen Plan, ein Ziel zu setzen; er wollte diese lange Unterbrechung seiner Reise auf die angenehme Lage der Stadt, auf die herrlichen Umgebungen schieben. Aber hatte er denn wirklich jene Stadt so angenehm gefunden? hatte er Menschen aufgesucht, kennengelernt? hatte er sie nicht vielmehr gemieden, weil sie seine Einsamkeit, die ihm so lieb geworden, st�rten? hatte er die herrlichen Umgebungen genossen? �Nein�, sagte er l�chelnd zu sich, �man w�re versucht, an Zauberei zu glauben! Ich habe mich betragen wie ein Tor! habe mich eingeschlossen in mein Zimmer um zu lesen. Und habe ich denn wirklich gelesen? stand nicht ihr Bild auf jeder Seite? gingen meine Schritte weiter als zu ihr oder um einmal allein unter dem Gew�hl der Menge auf und ab zu gehen? Ist es nicht schon Raserei, auf so langen Wegen einem Schatten nachzujagen, jedes M�dchengesicht aufmerksam zu betrachten, ob ich nicht den holden Mund der unbekannten Geliebten wiedererkenne?�

So schalt sich der junge Mann, glaubte recht feste Vors�tze zu fassen und – wie oft, wenn sein Pferd langsamer bergan geschritten war, verga� er oben es anzutreiben, weil seine Seele auf anderen Wegen schweifte; wie oft, wenn er abends sein Gep�ck �ffnete und ihm die Rolle in die H�nde fiel, entfaltete er unwillk�rlich das Bild der Geliebten und verga� sich zur Ruhe zu legen.

Aber die reizenden Gebirgsgegenden am Neckar, die herrlichen Fluren von Mannheim, Worms, Mainz verfehlten auch auf ihn den eigent�mlichen Eindruck nicht. Sie zerstreuten ihn, sie f�llten seine Seele mit neuen, freundlichen Bildern. Und als er eines Morgens von Bingen aufbrach, stand nur ein Bild vor seinem Auge, ein Bild, das er noch heute erblicken sollte. Fr�ben hatte mit einem Landsmann Frankreich und England bereist, und aus dem Gesellschafter war ihm nach und nach ein Freund erwachsen. Zwar mu�te er, wenn er �ber ihre Freundschaft nachdachte, sich selbst gestehen, da� �bereinstimmung der Charaktere sie nicht zusammenf�hrte; doch oft pflegt es ja zu geschehen, da� gerade das Ungleiche sich hei�er liebt als das �hnliche. Der Baron von Faldner war etwas roh, ungebildet, selbst jene Reise, das bewegte Leben zweier Hauptst�dte, wie Paris und London, hatte nur seine Au�enseite etwas abschleifen und mildern k�nnen. Er war einer jener Menschen, die, weil sie durch fremde oder eigene Schuld gew�hlte Lekt�re, feinere, tiefere Kenntnisse[355] und die bildende Hand der Wissenschaften verschm�hten, zu der �berzeugung kamen, sie seien praktische Menschen, d.h. Leute, die in sich selbst alles tragen, um was sich andere, es zu erlernen, abm�hen; die einen nat�rlichen Begriff von Ackerbau, Viehzucht, Wirtschaft und dergleichen haben, und sich nun f�r geborene Landwirte, f�r praktische Haush�lter ansehen, die auf dem nat�rlichsten Wege das zu erreichen glauben, was die Masse in B�chern sucht. Dieser Egoismus machte ihn gl�cklich, denn er sah nicht, auf welchen schwachen St�tzen sein Wissen beruhte; noch gl�cklicher w�re er wohl gewesen, wenn diese Eigenliebe bei den Gesch�ften stehengeblieben w�re; aber er trug sie mit sich, wohin er ging, erteilte Rat, ohne welchen anzunehmen, hielt sich, was man ihm nicht gerade nachsagte, f�r einen �klugen Kopf�, und ward durch dieses alles ein unangenehmer Gesellschafter und zu Hause vielleicht ein kleiner Tyrann, aus dem einfachen Grund, weil er �klug war und immer recht hatte�.

�Ob er wohl sein Spr�chwort noch an sich hat�, fragte sich Fr�ben l�chelnd, �das unabwendbare: ›Das habe ich ja gleich gesagt!‹ Wie oft, wenn er am wenigsten daran dachte, da� etwas gerade so geschehen werde, wie oft fa�te er mich da bei der Hand und schrie, ›Freund Fr�ben, sag an, hab ich es nicht schon vor vier Wochen gesagt, da� es so kommen w�rde? warum habt Ihr mir nicht gefolgt?‹ Und wenn ich ihm sonnenklar bewies, da� er zuf�llig gerade das Gegenteil behauptet habe, so lie� er sich unter keiner Bedingung davon abbringen und grollte drei, vier Tage lang.�

Fr�ben hoffte, Erfahrung und die sch�ne Natur um ihn her werden seinen Freund weiser gemacht haben. An einer der reizendsten Stellen des Rheintals, in der N�he von Kaub lag sein Gut und je n�her der Reisende herabkam, desto freudiger schlug sein Herz �ber alle diese Herrlichkeit der Berge und des majest�tischen Flusses, um so �fter sagte er zu sich, �Nein! er mu� sich ge�ndert haben, in diesen Umgebungen kann man nur hingebend, nur freundlich und teilnehmend sein, und im Genu� dieser Aussicht mu� man vergessen, wenn man auch wirklich recht hat, was bei ihm leider der seltene Fall ist.�[356]

Quelle:
Wilhelm Hauff: S�mtliche Werke in drei B�nden. Band 2, M�nchen 1970, S. 354-357.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgew�hlte Ausgaben von
Die Bettlerin vom Pont des Arts
Die Bettlerin vom Pont des Arts: Erz�hlung
Die Bettlerin vom Pont des Arts
Die Bettlerin vom Pont des Arts
Die Bettlerin vom Pont des Arts
pFad - Phonifier reborn

Pfad - The Proxy pFad of © 2024 Garber Painting. All rights reserved.

Note: This service is not intended for secure transactions such as banking, social media, email, or purchasing. Use at your own risk. We assume no liability whatsoever for broken pages.


Alternative Proxies:

Alternative Proxy

pFad Proxy

pFad v3 Proxy

pFad v4 Proxy