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ADB:Patkul, Johann Reinhold von

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Artikel „Patkul, Johann Reinhold von“ von Mettig. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 225–237, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Patkul,_Johann_Reinhold_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:10 Uhr UTC)
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Patruban, Karl von
Band 25 (1887), S. 225–237 (Quelle).
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Patkul: Johann Reinhold v. P., berühmt als Vertheidiger der livländischen Landesrechte, als Urheber des nordischen Krieges und als unglückliches Opfer der Rachsucht Karl’s XII. Der Widerspruch in der Beurtheilung seiner Persönlichkeit erklärt sich aus der Verschiedenartigkeit des von den Darstellern seines Lebens eingenommenen Standpunktes, und dieser wiederum findet seine Rechtfertigung in der eigenthümlichen Stellung, die P. inmitten der collidirenden schwedischen, livländischen, sächsischen, polnischen und russischen Interessen einnahm. Erst wenn die Patkuliana von Schirren veröffentlicht sein werden, wird die objective Geschichtsforschung sich berechtigt sehen, über P. ein Endurtheil auszusprechen, bis dahin ist es rathsam den Mittelweg einzuschlagen.

P. stammte aus einer alten, adligen Familie Livlands, die, wie er selbst sagt, schon 300 Jahre im Lande ansässig war. Sein Vater Friedrich Wilhelm war livländischer Landrath und schwedischer Major und wurde anläßlich der im J. 1657 erfolgten Uebergabe der Festung Wolmar an die Polen des Hochverrathis angeklagt und nach Stockholm gebracht. Da wir ihn nachher wieder im Besitz seines Ranges und seiner Güter finden, so wird er seine Unschuld erwiesen haben. Im Gefängniß brachte nach der Ueberlieferung seine Gattin Gertrude, geborene Holstfer, einen Sohn zur Welt, der den Namen Joh. Reinh. erhielt. Das Geburtsjahr desselben steht nicht fest; man nimmt dafür das Jahr 1660 an. Schon 1666 wird sein Vater als verstorben verzeichnet. Die Behauptung, P. sei von seinem Vater mit Haß und Rachsucht gegen die schwedische Regierung erfüllt worden, muß daher als tendenziös zurückgewiesen werden. Wo er seine Bildung genossen und wer seine Erziehung geleitet hat, ist unbekannt. Fest steht jedoch, daß er längere Zeit seiner Studien halber im Auslande verweilt und sich daselbst seine umfassenden und gründlichen juristischen Kenntnisse erworben hat. Anfang October 1680 kehrte er nach Livland zurück und übernahm die Verwaltung der ihm als Erbe zugefallenen Güter Kegeln, Podsem und Waidau, die auch nachher von der Reduction verschont blieben. Bald nach seiner Rückkehr ließ er als Bevollmächtigter seiner Brüder und in eigener Angelegenheit von sich hören. In zahlreichen von ihm selbst verfaßten Proceßschriften, die den akademisch gebildeten Juristen erkennen lassen, trat er als Ankläger und Vertheidiger in Injurien und Duellsachen auf. In der Patkul-Literatur spielt eine große Rolle die gegen ihn gerichtete Mißhandlungsklage des Michel Foß und dessen Braut Ebba Plahn, der nach Sjögren P. nachgestellt haben soll. Gegen diese Anklage, welche als vollgültiger Beweis unerhörter Härte und unmenschlicher Grausamkeit immer und immer wiederholt worden ist und die als Grundlage zu den verwegensten Schlüssen auf den Charakter Patkul’s und seiner Standesgenossen gedient hat, vertheidigte er sich 1688–1689 in überzeugender Weise. Alle auf diesen Proceß bezüglichen Acten im livländischen Hofgerichtsarchive sind neuerdings einer eingehenden Revision unterzogen worden und ergeben eine vollständige Rehabilitation Patkul’s. Der Proceß fand aber infolge der politischen Verwickelungen, mit denen sein Geschick verknüpft war, keinen Abschluß, vielmehr wurde dieser Fall aufgebauscht, „um einen desto tieferen Schatten fallen zu lassen, sei es auf die Persönlichkeit des Angeschuldigten, sei es auf die Verhältnisse, [226] in denen er lebte und die er vertrat“. P. war nach Livland zu einer Zeit zurückgekehrt, wo drohende Wolken am politischen Horizonte sich aufthürmten; es war das Jahr der schwedischen Reduction (d. h. Einziehung derjenigen Güter, welche wirklich oder angeblich ehemals Staatseigenthum gewesen waren) in Livland. Trotz der Bestätigung der Privilegien und des Gelöbnisses, ohne Einwilligung der Landschaft keine Umänderungen vorzunehmen, verlieh Karl XI. einem Beschluß des schwedischen Reichstages betreffs der Ausdehnung der Reduction auf Livland bereitwillig seine Sanction, obgleich die Livländer auf diesem Reichstage durch keinen Abgeordneten vertreten waren. Bald fühlte sich der König auch berechtigt, die Reduction bis auf herrmeisterliche Zeit auszudehnen. Die Noth brach an, das Land verarmte; alle Bitten und Vorstellungen der livländischen Ritterschaft, die 5/6 ihres Grund und Bodens verloren hatte, blieben ohne Erfolg; der eiserne Wille des Königs fand seine Durchführung. Mit Berufung auf die Privilegien des Landes stellten die Livländer dem König das ihnen widerfahrene Unrecht vor. Dieser, wenn auch nur passive Widerstand brachte ihn nur auf. Er verlangte im J. 1690, daß man ihm die urkundlichen Belege des Landesrechts im Original vorlege, und die Besorgniß lag nahe, daß er dabei nicht eben wohlwollende Absichten verfolgte. Vom livländischen Landtage wurden zur Ueberreichung aller livländischen Rechtsurkunden, des sogenannten „corpus privilegiorum“ und zur Vertheidigung der Rechte und Freiheiten der Ritterschaft der Landrath Budberg und der Capitain Patkul designirt. Letzterer war dazu sonder Zweifel die geeigneteste Persönlichkeit. P. tritt uns als ganzer, fertiger Mann, im Vollbesitz seiner leiblichen und geistigen Kraft, in der Blüthe seiner Jahre entgegen. Auf alle, die ihn näher kennen lernten, machte er den Eindruck eines ungewöhnlich begabten, aber auch ehrgeizigen Menschen. Vor seinen Standesgenossen zeichnete er sich durch den Reichthum seines Wissens und durch seinen Scharfsinn aus. Neben seiner Muttersprache verstand er das Lateinische und Griechische, er schrieb und sprach ein elegantes Französisch, auch ist es wahrscheinlich, daß er sich das Schwedische und Russische aneignete, als die Umstände die Erlernung dieser Sprachen erheischten. Für eine militärische Laufbahn bestimmt, hatte er nicht ohne Neigung und mit Eifer in den Kriegswissenschaften gearbeitet, da er auf diesem Gebiete emporzukommen hoffte. Besonders die Exercitien der Infanterie, das Fortificationswesen, die Mathematik und Ingenieurwissenschaft nahmen sein Interesse in Anspruch. Seine diplomatischen Talente, verbunden mit der Gabe feuriger Beredsamkeit, seltener Gewandtheit der Feder und Gediegenheit juristischer Kenntnisse, entwickelten sich in der praktischen Ausübung politischer Geschäfte. Obwohl P. einen ausgesprochenen Sinn für das Nützliche und Praktische an den Tag legte und daher eine nüchterne Natur genannt werden muß, so fehlte ihm keineswegs das Verständniß für die idealen Güter des Lebens; das Alterthum mit seinen Reizen übte auf ihn einen Einfluß aus, dauernd jedoch fesselte ihn das Studium der Rechte. Unter der Last trüber Sorgen und aufreibender Geschäfte fand er noch Muße zum Verkehr mit Männern, welche den idealsten Zielen nachstrebten. Thomasius und Hermann August Francke suchte er als Flüchtling auf und als vielbeschäftigter Staatsmann schenkte er den Ideen des universellsten Geistes Europas, dem großen Gelehrten Leibnitz, seine Aufmerksamkeit. Neben diesen Vorzügen seines Charakters hafteten ihm nicht geringe Fehler an. Beispiele ungezügelter Leidenschaft, des Jähzornes, des engherzigsten Standesvorurtheils und der Rücksichtslosigkeit lassen sich nachweisen. Die Härten und Schwächen seines Wesens treten später im Getriebe der Welthändel und im Kampfe um’s Dasein oft unliebsam in den Vordergrund und verdunkeln die edleren Züge. Auf diesen reich beanlagten und durch Energie und Patriotismus ausgezeichneten Mann, lenkten sich bald aller Augen. Am [227] 12. October 1690 trafen Budberg und P. in Stockholm ein. Schon in Livland war von dem den Livländern feindlich gesinnten Generalgouverneur Hastfer die Echtheit des privilegium Sigesmundi Augusti, durch welches die livländische Ritterschaft das unbeschränkte Dispositionsrecht und Erbrecht über ihre Güter erlangt hatte, angefochten worden. P. vertheidigte muthig die Gültigkeit desselben vor dem Könige und einer Versammlung hoher Würdenträger. Aber alle Remonstrationen blieben erfolglos. Durch die Erklärung Karl’s XI. (22. Mai 1691), „daß alle königlichen Resolutionen der beliebigen Interpretation seines Generalgouverneurs anheimzugeben seien“, war Livland der Willkür Hastfers preisgegeben. Trotz alledem ließ P. die Hoffnung nicht sinken; die Schwierigkeiten, die man ihm auch in den Weg stellen mochte, schreckten ihn nicht zurück; er reiste dem Könige, der beständig seinen Aufenthaltsort wechselte, nach und suchte eine Gelegenheit, um eine Sinnesänderung desselben herbeizuführen. In Oerebro, Wennersberg und Gothenburg gelang es ihm, sich dem Könige zu nähern, der von sich aus, freilich nur vorübergehend, Patkul’s Anliegen berührte und dadurch in ihm die Hoffnung der Erhörung seiner Bitte erweckte. Nach Stockholm zurückgekehrt, gewährte der König ihm eine längere Audienz (18. November 1691) und P. benutzte diesen günstigen Moment, seinem gepreßten Herzen Luft zu machen. In hinreißender Beredsamkeit schilderte er das Verarmen und das Elend des Landes. Der König hörte ihn gnädig an, suchte ihm aber dann die Nothwendigkeit der von den Ständen Schwedens beschlossenen Reduction auseinanderzusetzen, wogegen P. die Befugniß der letzteren in Abrede stellte. Auf die heftige Frage des Königs, ob die Livländer sich wohl unterstehen wollten, die schwedischen Stände zu beschuldigen, als hätten sie mit Livland nicht nach Gebühr gehandelt, antwortete er mit einem lauten Ja. Wenn nur der König es gestatten wolle, werde er vor Sr. Majestät und der ganzen Welt diese Ungebühr erweisen. Seine Berufung auf die mit Schweden geschlossenen Verträge und auf die Bestätigung derselben durch den König blieb nicht ganz ohne Wirkung. Karl versprach seinen treuen Livländern ein willig Ohr zu leihen, wenn die Ritterschaft sich an ihn persönlich wende; P. kehrte voller Hoffnung nach Livland zurück und der Landtag zu Wenden (11. März 1692), wo er über seine Mission Bericht abstattete und verschiedene Vorschläge betreffs einer Erweiterung und Befestigung der Adelsrechte auf seinen Antrag zur Annahme gelangten, beschloß die Absendung einer Supplik an den König. Dieselbe wurde von P. verfaßt und schilderte in kühner Sprache und mit erschütternden Worten die Noth und das der Ritterschaft widerfahrene Unrecht (30. Mai 1692). Diese Schrift soll auf den König und seine Umgebung den Eindruck gemacht haben, als ob „die Stimme des Aufruhrs sich in der Ferne vernehmen ließe“. Trotz alledem wurden erst nach Jahresfrist die Vertreter des Landes zur Verantwortung für ihre Vermessenheit gezogen. Im September 1693 machte Hastfer der Ritterschaft einen vom 10. August 1693 datirten Befehl des Königs bekannt, der die Landräthe, welche jene Schrift unterzeichnet hatten und P. nach Stockholm citirte. Gegen P. war der Unwille besonders groß, er wurde wegen falscher Darstellung und unerlaubter Auslassungen in seiner Relation, wegen der aufgesetzten Deliberanda, wegen der Instruction an die residirenden Landräthe und wegen Theilnahme an den Maßnahmen der letzteren angeklagt, dazu wurde er als Verfasser der anstößigen Bittschrift, und weil er die Zusammenrottung der Capitaine gegen seinen Obrist Helmersen angestiftet, vor Gericht gezogen. Gegen den Obrist Helmersen, in dessen Regiment P. als Capitain diente, hatte er im Auftrage mehrerer Officiere eine Klageschrift abgefaßt. Von Helmersen waren nämlich die livländischen Edelleute in seinem Regimente in beleidigender Weise behandelt worden. [228] Generalgouverneur Hastfer, dem P. in einem Liebeshandel den Rang abgelaufen haben soll, und der diesem auch sonst nicht gewogen war, bezeichnete die Klage als Meuterei und ließ die Kläger vor ein Kriegsgericht stellen, dem P. sich durch die Flucht entzog. Erst der Landesangelegenheiten wegen kam er nach Zusicherung eines freien Geleites nach Stockholm. Gegen alle Punkte der Anklage vertheidigte er sich und berief sich betreffs der Supplik auf die Instruction der livländischen Ritterschaft. Gar bald konnte er im Verlaufe des Processes sich der Ueberzeugung nicht mehr verschließen, daß seine Ankläger auch seine Richter seien, und seine Feinde und Neider auch sein Urtheil fällen würden. Ehe sie ihre Netze zusammenzogen, war er mit Zurücklassung eines Protestes gegen das Verfahren des Gerichtshofes nach Kurland entflohen. Was er gefürchtet, trat ein. Am 12. December 1694 wurden die Landräthe Budberg, Vietinghoff und Mengden als Rebellen und Majestätsverbrecher zum Tode verurtheilt. Patkul’s Strafe wurde verschärft. Für seine Verbrechen sollte er mit dem Verlust seines Lebens, seiner Ehre, seiner Güter und seiner rechten Hand büßen. Die Krone zog seine Güter ein und der Henker verbrannte seine Schriften.

Ueber Patkul’s Aufenthalt in Polen und Deutschland sind die Nachrichten lückenhaft; 1696 berichtet Nils Bjelke nach Schweden, daß sich P. unter dem angenommenen Namen v. Kegen in Memel aufhalte und häufig Reisen nach Polen unternehme, wo er mit dem Feldherrn Jablonowski befreundet sei; auf die Anfrage, ob er sich seiner Person bemächtigen solle, erhielt er die Weisung, P. wenn möglich nach Stockholm zu befördern. Ueber Berlin und Halle begab sich P. nun in die Schweiz. Hier lebte er unter dem Namen Fischering unweit des Genfer Sees auf dem Schlosse Prangins mit Privatunterricht und wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Der Gegenstand seiner Studien war das Natur- und Völkerrecht von Pufendorf, das fortan auch die Grundlage seiner politischen Ueberzeugung bildete. Während seines Aufenthaltes in der Schweiz besuchte er Lausanne und Genf und unternahm dann Reisen durch Italien, Savoyen und Frankreich. Aber auch hier soll er vor Verfolgern nicht sicher gewesen sein. Alle Bemühungen um Amnestie blieben erfolglos. Karl XI. hatte wohl die drei livländischen Landräthe auf seinem Sterbebette begnadigt, aber gegen P. blieb er unerbittlich und ebenso unversöhnlich war sein Sohn Karl XII. Die Nothwehr trieb P. in das Lager der Feinde. Sicherheit der Person und Befreiung seines Vaterlandes konnte er nur durch die Vernichtung seiner Gegner erringen. Gegen die Wende des Jahrhunderts schon machten sich die Vorzeichen einer großen Veränderung auf der Weltbühne bemerkbar. Fast um dieselbe Zeit traten drei jugendliche Herrscher, jeder in seiner Art, von Ehrgeiz und Thatendrang getrieben, mit bestimmten Absichten auf den Schauplatz der Geschichte: Friedrich August, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, Karl XII., König von Schweden, Peter, Zar von Moskau. In der durch sie hervorgerufenen Wandlung der europäischen Politik war P. berufen eine maßgebende Rolle zu spielen. Im December 1697 und Januar 1698 finden wir ihn noch in Prangins. Der Günstling des Königs von Polen, Graf Flemming, dem P. im Mai 1698 zu Buckau vorgestellt wurde, forderte ihn auf, nach Polen zu kommen (1. November 1698). Er folgte der Einladung und hier fand P. ein günstiges Feld für seine Absichten; der Gedanke eines Angriffskrieges gegen Schweden war schon vor seinem Auftreten sowohl in Rußland als auch in Dänemark ventilirt worden, auch hatte der Zar eine Aufforderung zu gemeinsamem Vorgehen an Friedrich August zu Rawa gerichtet, doch von einem Zusammenwirken der drei genannten Staaten auf ein Ziel hin war noch nicht die Rede gewesen. Die Verbindung dieser Tripelallianz hat P. zustande gebracht und damit seine weltberühmte diplomatische Laufbahn betreten. Der König von Polen trug sich, ehe [229] er P. kennen lernte, mit ganz anderen Plänen (gegen Ende des Jahres 1698). Der Gedanke einer Erweiterung seines Reiches nach Süden hin nahm ihn voll und ganz in Anspruch. Die Walachei wollte er überrumpeln, Siebenbürgen und einen Theil von Oberungarn der kaiserlichen Botmäßigkeit entreißen. Mit Patkul’s Auftreten fielen diese Pläne in sich zusammen. Eine Frontschwenkung nach Norden wurde mit einem Male gemacht; die Erweckung und Hegung der Wünsche nach dem Besitz Livlands in König August und die Verbindung der an einer Schwächung Schwedens arbeitenden Mächte Dänemark und Rußland mit Sachsen und Polen, das war Patkul’s Werk. In verschiedenen Denkschriften (Grodno, 1. Januar 1699) suchte P. den König von der Nothwendigkeit eines Krieges gegen Schweden in Livland zu überzeugen und machte er ihn auf die vortheilhaftesten Allianzen aufmerksam. Im Mai 1699 wurde durch P., der nach Kopenhagen ging, Dänemark für das Bündniß gewonnen, und im Herbst (11./21. November 1699) brachte vornehmlich P. in Moskau einen Vertrag zwischen dem Zaren und dem Könige von Polen zustande. Hieraus ersieht man, inwiefern P. als individueller Urheber des nordischen Krieges gelten kann. Aus seinem Kopfe stammt auch der Plan einer Ueberrumpelung Rigas und eines gleichzeitigen Angriffs der Russen und Dänen. Eine „Entreprise“ auf die Stadt Riga schien nicht allzu schwierig, zumal die Befestigungswerke daselbst nach Patkul’s Ansicht sich in einem bedenklichen Zustande befanden, auch gab er sich der Hoffnung hin, daß das geplante Unternehmen von befreundeter Seite in der Stadt und auf dem flachen Lande Unterstützung erfahren würde. Das von Schweden befreite Land sollte in eine, unter polnischem oder sächsischen Schutze stehende, selbstständige Adelsrepublik mit eigener Verwaltung und eigenem Heerwesen umgewandelt werden, hierzu werde ihm die livländische Ritterschaft, so meinte P., die Hand bieten. Der Anschlag auf Riga scheiterte aber, Dank dem Mißtrauen, welches die Polen gegen den König, der den Krieg ohne Wissen der Republik unternahm, hegten und der fahrlässigen Ausführung des von P. entworfenen Planes (December 1699 bis Februar 1700), auch erwiesen sich Patkul’s Verbindungen in Livland als unzureichend. Er nahm, freilich mit Unterbrechungen, da König August seines Rathes im Conflict mit der polnischen Adelsrepublik bedurfte, an dem ungünstig verlaufenden Feldzuge in Livland Theil. Den von August an die Livländer gerichteten Schutzbrief hat er mit unterzeichnet. Zu erwähnen ist ferner, daß er auf einem seiner Streifzüge in’s Land marodirende Kosaken strafen ließ und daß das Bombardement von Riga (1. September 1700) auf sein Verwenden eingestellt wurde. Ein Anschluß der Livländer erfolgte trotz der ihm von einigen Mitgliedern der Ritterschaft gemachten Aussichten nicht. Wie wenig übrigens P. bei seiner Anwesenheit von einer thatbereiten Mithülfe seiner Standesgenossen erwartete, beweist der Umstand, daß er gelegentlich des Vorrückens der Sachsen über die Düna dem Adel in der Befürchtung, er könne für den Schwedenkönig aufsitzen, die Pferde abnehmen ließ.

Nicht zum geringen Theil aus Furcht vor der königlichen Ungnade und dem von Generalgouverneur Dahlberg ausgeübten Zwange nachgebend unterzeichneten die Abgeordneten des Adels (135), des Raths (22), der großen Gilde (556) und der kleinen Gilde (364) einen Revers, in dem sie P. und seine Anhänger als Erzverläumder und Ehrendiebe hinstellten und die Erklärung abgaben, daß sie mit ihren Kindern und Kindeskindern bis an der Welt Ende unter des Königs von Schweden christlicher, gerechter und gnädiger Regierung stehen möchten (9. Juli 1700); selbst seine Mutter versagte ihm das Wiedersehen und wollte nichts von ihm wissen. So hatten P. nun auch seine Standesgenossen, seine Landsleute und seine Mutter verlassen. Karl XII. hatte im Fluge erst die Dänen und dann die Russen geschlagen und näherte sich der Düna. Unterdessen war zu [230] Birsen, im Beisein Patkul’s (26. Februar/10. März 1701) der Vertrag zwischen Peter und August erneuert worden. Geld und Truppen versprach der Zar und sicherte wiederum den Besitz von Est- und Livland den Polen zu, während er sich mit Ingermanland und Karelien begnügen wollte. Was an der Düna August gewonnen hatte, mußte aufgegeben werden und Karl XII. drang siegreich in Polen vor, besetzte Warschau und nahm Krakau, während der Zar in Livland festen Fuß faßte. August’s Stellung den Polen gegenüber wurde eine äußerst kritische, weil nur von einem Theil des Adels seine Maßnahmen Billigung erfahren hatten und einflußreiche Factionen sogar einen sofortigen Frieden abzuschließen und die Absetzung August’s auszusprechen bereit waren. Dadurch aber war auch der Boden, auf dem P. stand, schwankend geworden. Schon vor der unglücklichen Wendung des livländischen Kriegsunternehmens hatte er den wahren Charakter August’s und seiner gleichgesinnten Rathgeber durchschaut. Die Uneinigkeit der Polen, die Friedensbestrebungen des französischen Gesandten Du Heron, der Wankelmuth und die Treulosigkeit des Königs und seiner Minister, denen P. seine Gesinnung über sie nicht vorenthielt, bedrohten ihn und seine Pläne bei längerem Verweilen im sächsischen Dienste mit ernsten Gefahren. Ganz andere Aussichten boten sich ihm im Osten dar, wo ein Herrscher von eisernem Willen und klarem Blicke sich mit heroischem Muthe an das Werk der Befreiung seiner Unterthanen aus den Banden orientalischer Lebensformen machte. Die Fülle der Kraft, die in diesem unermeßlichen Reiche lag, war P. nicht entgangen. Die frischen Lebenssäfte, deren der Zar für sein Volk bedurfte, lagen in dem vor ihm abgeschlossenen Westen, die Ostseeländer mit ihrer Cultur sollten die Brücke werden, die Rußland mit dem Abendlande verknüpfte. Im Dienste dieser gegen Schweden am baltischen Meere gerichteten Bestrebungen waren die Befreiung Livlands und die Schädigung Schwedens realisirbar. Nachdem P. von den im livländischen Kriege erhaltenen Wunden genesen war, erklärte er dem russischen Gesandten Dolgoruky, daß er den sächsischen Dienst aufgeben werde. Darüber berichtet (27. August 1701) derselbe an den Zaren, welcher sofort P. zum Eintritt in russische Dienste auffordern ließ. Hocherfreut nahm P. dieses Anerbieten an. Unterrichtet von den Bemühungen des Zaren um ein Bündniß mit Frankreich, wollte er gleichsam als Gegengabe für die Aufforderung, die Mittheilung über die Anbahnung eines diplomatischen Verkehrs zwischen Rußland und Frankreich nach Moskau bringen, deshalb suchte er in einer Unterredung im Februar 1702 mit dem französischen Gesandten Du Heron eine Verbindung zwischen Peter und Ludwig XIV. herbeizuführen. Seine Vorstellungen hatten wenigstens die Absendung des außerordentlichen französischen Gesandten Baluze nach Moskau zur Folge (1703). Gleich nach der ersten Unterredung mit Du Heron (am 11. Februar) reiste P. über Kiew nach Moskau ab, wo er Ende März eintraf. Mit dem Titel eines Geheimraths in den russischen Dienst tretend, legte er dem Zaren seine Pläne betreffs der Reorganisation der russischen Armee vor, von denen der Vorschlag einer Umwandlung aller Cavallerieabtheilungen in Dragonerregimenter insofern Beachtung verdient, weil in jüngster Zeit diese von P. ausgesprochene Idee in Ausführung gebracht ist. Der König von Schweden, über P. tief erbittert, gab seinem Zorn in Wort und Schrift Ausdruck, während dieser seinerseits mit denselben Waffen und in derselben Weise sich zur Wehr setzte. In beiden Lagern wurden die Schriften des Gegners verbrannt und aus beiden Lagern wiederholt Rechtfertigungen und Anklagen in die Welt geschickt. P. hat zur Behauptung seiner Stellung und Erreichung seiner Ziele alle ihm zu Gebote stehenden Mittel in Anwendung gebracht. Ein merkwürdiger Kampf war ausgebrochen, den ein König und ein Unterthan aus der Entfernung mit Erbitterung führten; der Natur der Sachlage gemäß gestalteten sich die herangezogenen Mittel [231] des Letzteren nicht denen des Ersteren ebenbürtig, sondern sie mußten füglich kleinlicherer Art sein. Demnach läßt sich nicht leugnen, daß P. öfters im Licht eines politischen Abenteurers erscheint. Als russischer Generalcommissar und Geheimrath finden wir ihn in Polen thätig, wo er den Schweden soviel wie möglich entgegenarbeitete. Aber nicht allein sollte der Schwedenkönig in Polen beschäftigt werden, damit Peter unterdessen an der Ostsee sich festsetzte, sondern der Plan Patkul’s zielte zugleich nach einer Schwächung der polnischen Kräfte. In Uebereinstimmung mit dem Zaren bediente er sich des Parteiinteresses in Polen nur als Mittel zur Durchführung russischer Pläne. Dadurch erst wurden die nothwendigen Bedingungen der russischen Politik erfüllt. Schweden und Polen bildeten das Hinderniß, welches den Verkehr und die Wechselbeziehungen zwischen Rußland und dem Westen erschwerten. Erst nach Niederwerfung derselben war dem Zarenreiche der Eintritt in den europäischen Staatenbund möglich. Als Führer bot sich P. an, dessen Gewandtheit in praktischen Dingen und dessen Genialität dem Zaren imponirten. Rücksichtlich seiner militärischen Kenntnisse war P. in Peter’s Augen eine Autorität. Als erwünschter Mitarbeiter an seinem inneren Reformwerk und als erfahrener Rathgeber für kriegerische und diplomatische Unternehmungen trat P. an des Zaren Seite. Er zeigte sich in der Förderung russischer Interessen ungemein rührig. Er mußte dem Zaren eingehende Projecte zur Reform des ganzen Militärwesens entwerfen, geschickte ausländische Officiere für den russischen Dienst anwerben und geeignete Persönlichkeiten als Residenten an den verschiedenen Höfen anstellen. Diesem Wunsche des Zaren kam er mit unermüdlichem Eifer nach. Seiner Vermittelung verdankte Peter die Gewinnung der ausgezeichneten Generale Ogilvy, Huyssen und Rönne. Neben den militärischen und diplomatischen Geschäften im Dienste Rußlands wurde P. vom Zaren bei Beschaffung von mehr oder weniger untergeordneten Persönlichkeiten zu Rathe gezogen. P. mußte ihm Ingenieure, Rechtskundige, Schmiede, Schwertfeger, Gärtner, Schäfer und andere anwerben. Wenn es galt, einen Portraitmaler zu gewinnen oder einen Aufseher für das Arsenal anzustellen oder eine Buchdruckerei einzurichten, wurde seine Meinung eingeholt.

Im Mai 1702 begab sich P. als zarischer Gesandter nach Polen zur Anbahnung gemeinsamer Operationen aller Parteien gegen Schweden. Karl’s XII. Vordringen veranlaßte ihn, sich wieder zurückzuziehen. Ende Juni finden wir ihn in Krakau, wo sich ihm Gelegenheit bot, die wenig Erfolg verheißende polnisch-sächsische Armee kennen zu lernen und am 8. Juli war er im Gefolge August’s Zeuge der unglücklichen Schlacht bei Klissow. Gleich darauf begab er sich nach Wien, damit er sich dort, wo alle Fäden der Politik zusammenliefen, über die Stellung des kaiserlichen Cabinets zu den polnisch-sächsischen Angelegenheiten Aufklärung verschaffe und vortheilhafte Allianzen gewinne (August bis November 1702). Seine Rückkehr nach Rußland wurde in der Ukraine durch die Paley’sche Angelegenheit verzögert. Ein Kosak, Paley, unterstützt von entlaufenen polnischen Leibeigenen und heimlichen Feinden August’s hatte die polnische Stadt Belaja Zerkow besetzt und erklärte, nur auf Befehl des Zaren und des Kosakenhetmanns von seiner Position zu weichen. Die mit Paley gepflogenen Unterhandlungen ließen P. in dieser Affaire ein zu Gunsten der russischen Politik zu verwerthendes Moment erblicken, Belaja Zerkow sollte, einer Eröffnung des Zaren gemäß, erst nach dem erfolgten Bündnisse mit der Republik herausgegeben werden. Am 16. März 1703 langte P. in Moskau an und folgte dem Zaren an die Ufer der Newa, wo er mehrere Monate an der Seite Peter’s verweilte. Er war Zeuge der weltgeschichtlichen Scene der Gründung Petersburgs. Angesichts des den Weg nach Europa hin erschließenden Meeres erwählte Peter ihn durch Ernennung zum ersten Gesandten an den ausländischen Höfen zum Pfadfinder [232] der russischen Diplomatie. Das Herz von den kühnsten Hoffnungen für die Zukunft seines Reiches geschwellt, überließ Peter die Einführung Rußlands in den europäischen Staatenbund dem unternehmenden livländischen Edelmann, dessen Fähigkeiten und Verdienste die günstigsten Aussichten eröffneten. In der Folgezeit finden wir Patkul’s Arbeitsgebiet zwischen der Thätigkeit eines Feldherrn und eines Diplomaten getheilt. Petersburg verläßt er am 15. Juli 1703. Nach kurzem Aufenthalt in Moskau begab er sich über Smolensk, Mohilew und Minsk nach Warschau, wo er am 13. September 1703 anlangte. Einen bedeutenden Schritt vorwärts in seiner Politik war P. erst durch den Abschluß eines Schutz- und Trutzbündnisses (12. October 1703) mit König August gelangt, ohne daß die Republik ihre Einwilligung dazu gegeben hatte. Von jetzt ab war P. der vertraute Begleiter des Königs, dem er vom Zaren Hülfstruppen und große Summen zuführte, die August in unverantwortlichem Leichtsinn mit polnischen Schönen und anderen Creaturen im Strudel kostspieliger Vergnügungen vergeudete, während das Land unter dem Druck der Steuern seufzte und seine Kriegsunternehmungen in Polen fast immer unglücklich waren. P. war an der siegreichen Belagerung und Einnahme Warschau’s betheiligt (September 1704), vermochte aber infolge mangelhafter Unterstützung vonseiten des Königs nicht Posen zu entsetzen (2. November 1704) und mußte gleich den sächsischen Truppen mit dem russischen Hülfscorps vor den siegreichen schwedischen Heeren Polen räumen. Die Gefahr eines Einfalls der Schweden in das Kurfürstenthum Sachsen ließ eine Reorganisation der zerrütteten sächsischen Militärmacht dringend geboten erscheinen. P. unterzog sich diesem schwierigen Werke und verlangte von den Ständen Sachsens Geldmittel zur Durchführung der geplanten Reformen, jedoch mit Haß und Erbitterung traten dieselben dem Fremdling und Urheber der Kriegsnoth entgegen. Auch die einflußreichen Persönlichkeiten des sächsischen Hofes, General Schulenburg, Statthalter Fürst Egon von Fürstenberg, Hofmarschall Pfingsten waren ihm nicht gewogen. Die Schwächen derselben rücksichtslos und mit Sarkasmus aufdeckend, hatte er sie in Wort und Schrift wiederholt beleidigt. Eine leidenschaftliche, reizbare, Widerspruch nicht duldende Natur wie P., mußte sich mit den von den Umständen zur Mitarbeit ihm zugewiesenen, aber von ihm als untergeordnet erachteten Persönlichkeiten überwerfen. Nicht Unverdientes und Unwahres sagte ihnen der fremde Tadler, doch einem gefährlichen Wagniß gab er sich Höflingen gegenüber hin, die Dank ihrer Sippe nicht ganz machtlos waren und in ihm einen ausländischen Eindringling sahen. Seine Stellung am Dresdner Hofe war eine in der That allmächtige und schien durch die russische Freundschaft gesichert zu sein. Zur Kräftigung der Allianz bemühte er sich neue Bundesgenossen zu gewinnen, namentlich verfolgte er auf seinen wiederholten Besuchen in Berlin den Plan einer intimeren Verbindung mit dem Königreich Preußen, dem er gleichfalls Entschädigung und Erweiterung seiner Grenzen auf Kosten Polens in Aussicht stellte. Der Gedanke einer Theilung Polens taucht öfters in seinen Schriften auf. Schon aus diesem Grunde ist der Haß der Polen gegen ihn, der kein Verständniß für ihre Interessen und ihre Leiden an den Tag legte, erklärlich. Das Jahr 1704 zeigt Patkul’s Ansehen und die ganze Bedeutung seiner politischen Rolle im Zenith. Bezeichnend für die Beurtheilung und Würdigung seines Einflusses und für die Vielseitigkeit seiner Interessen ist die Thatsache, daß sich der größte Gelehrte jener Zeit, Leibnitz, an ihn mit dem Gesuche um Unterstützung seines Planes betreffs der Errichtung einer Societät der Wissenschaften in Dresden wendete, worauf ihm P. mit Zusicherung seiner Hülfe in einem elegant französisch geschriebenen Briefe antwortet; ganz um dieselbe Zeit legte ihm auch Leibnitz einen detaillirten Plan zur Förderung der Wissenschaften und der Civilisation in Rußland vor, wußte er doch, welche Stellung [233] P. zu des Zaren Bestrebungen hinsichtlich der Europäisirung seiner Völker einnahm und welchen Werth Peter dem Urtheil dieses genialen Livländers beilegte (Januar bis Februar 1704). Nur flüchtig berührten Patkul’s Gedanken die friedliche Arbeit der Civilisation und den Plan zur Gewinnung eines günstigen Bodens für dieselbe in dem der Cultur abgeschlossenen Rußland. Ganz andere Dinge nahmen ihn in Anspruch. Zwar behauptete noch der russische Gesandte P. eine allmächtige Stellung, hoch über den anderen Höflingen, aber er stand auf schlüpfrigem Boden. Als ein Wechsel in der Politik eintrat, spitzte sich alles zu einer Katastrophe zu, der er sich nicht mehr zu entziehen vermochte.

König August wollte mit Schweden Frieden schließen, weil Krieg und Politik die Ruhe seines Genußlebens beeinträchtigten; damals begann des Königs Liebesverhältniß mit der Freifrau Anna Constanze v. Hoym, der späteren Gräfin Cosel, seinen erschlaffenden Einfluß geltend zu machen und die Sehnsucht nach Frieden zu erwecken (Ende 1704, Anfang 1705). Patkul’s Gegner waren mit der Idee eines Particularfriedens vollkommen einverstanden und im größten Geheimniß arbeiteten sie an der Befreiung vom russischen Einfluß und an dem Sturze des Urhebers und Hauptförderers des Krieges, der zugleich ihr persönlicher Feind war und zu ihrem größten Aerger durch seine projectirte Vermählung mit der Gräfin Einsiedel Aussicht zur Erlangung des sächsischen Indigenats gewonnen hatte. Der bei der Einnahme Warschaus in sächsische Gefangenschaft gerathene schwedische Oberbefehlshaber Arved Horn, einer der gewandtesten Diplomaten, wurde vom Statthalter Fürstenberg und vom Könige mit Auszeichnung behandelt, an ihre Tafel gezogen und als Vermittler der Verhandlungen zwischen dem Dresdener Hofe und dem schwedischen Lager in Rawicz benutzt. Diese Dinge geschahen keineswegs unter dem Mantel der Verschwiegenheit, vielmehr fielen die Freiheiten und die ostentative Geschäftigkeit des schwedischen Kriegsgefangenen auf. Hinsichtlich dieses Umschwunges in der Politik war Patkul’s Stellung eine äußerst bedrohte. Als er von dieser nicht allein seine Pläne und seine Stellung untergrabenden, sondern auch seine ganze Existenz in Frage stellenden Absicht eines abzuschließenden Separatfriedens erfuhr, war er vor Unmuth und Zorn außer sich. In heftiger Sprache schrieb er dem Könige von seiner Kenntnißnahme der gegen ihn gerichteten Umtriebe. Ohne alle Schminke sagte er ihm die Wahrheit, indem er in düsterem Lichte die Zerrüttung seines Landes, den Verlust seines Ansehens an den übrigen europäischen Höfen, den Mangel an Vertrauen, die Untüchtigkeit und Bestechlichkeit der Räthe schilderte und den Ruin der Herrschaft ankündigte. Der König suchte sich durch Leugnen und Verhüllungen der Wahrheit vor P. zu rechtfertigen, bedurfte er doch, bis seine Unterhandlungen mit den Schweden zur Reife gelangten, der russischen Allianz, vornehmlich des russischen Geldes. P. durchschaute ihn. In fieberhafter Aufregung machte er in zahlreichen Briefen und Schriften seinem gepreßten Herzen Luft; käuflich, selbstsüchtig und unfähig nannte er die Intriganten in August’s Umgebung. Das Interesse des Zaren sowohl als auch die Sicherheit seiner Person waren der größten Gefahr ausgesetzt. Der machiavellistischen Staatskunst der Zeit nicht fremd, kam er auf die Idee, durch einen diplomatischen Schachzug das Gewebe der Intrigue zu zerreißen. Da man seinen Herrn, den Zaren und ihn so schändlich hintergangen, so hinderte ihn keine Rücksicht mehr, die Sache Augusts vollkommen preiszugeben. Er selbst wollte den Zaren vermittelst eines Separatfriedens mit Karl XII. versöhnen und für sich Amnestie beim Schwedenkönig erwirken (im Sommer 1705). Dieses Anerbieten war ihm von Holland aus gemacht worden, wenn er eine Verständigung zwischen Peter und Karl XII. herbeiführe. Die Gefahr in der er schwebte, wie auch der Haß gegen die falschen und ihm widerwärtigen Minister und den unaufrichtigen und treulosen König, der Wunsch nach dem Genuß des Glückes eines eigenen Familienlebens, [234] alles das ließ ihm die holländischen Offerten als annehmbar erscheinen. Den Minen seiner verkappten Feinde sucht er durch Auffindung neuer Anschläge zu entgehen. August zeigte ihm ein freundliches Gesicht, ließ aber seine wahren Absichten nicht merken. P. war von allem unterrichtet und machte Peter darüber mit der Bitte um Schweigen Mittheilung, doch auch von seinen Briefschaften und Plänen hatten seine Gegner durch Spione und Verräther Kundschaft. Es war ein Intriguenspiel der bedenklichsten Art und unter dem prunkendenden Glanz des damaligen sächsischen Hoflebens barg sich eine tiefe sittliche Verderbniß der tonangebenden Kreise. Das Verweilen in dieser Umgebung und in dieser Luft war auch für P. verhängnißvoll. Der jüngste Darsteller seiner Schicksale hat über diese Veränderung seines Charakters eine der Wahrheit wohl sehr nahe kommende Schilderung gegeben: „Durch das Zusammentreffen und die Verbindung“, schreibt er, „mit einer Persönlichkeit von der Handlungsweise und der politischen Richtung des Königs August II., geräth der anfänglich für die Rechte und Freiheiten Livlands schwärmende, dabei von Rachegedanken gegen die schwedische Bedrückung erfüllte P. in eine Atmosphäre, deren Einfluß früher oder später eine wenn auch noch so ideell angelegte Natur nicht unberührt lassen konnte. Und er ist hiervon nicht das einzige Beispiel. Es schwebt ein sonderbares Verhängniß über so vielen Persönlichkeiten, die das Schicksal mit den Rococohöfen des 18. Jahrhunderts in zu nahe Berührung kommen läßt, mögen sie Görtz, mögen sie Patkul oder Struensee geheißen haben. Es ging mit ihnen von Stufe zu Stufe. Ursprünglich Idealisten, Philosophen, Menschenbeglücker, werden sie in der sie umgebenden Atmosphäre unwillkürlich zu Ränkeschmieden und Intriguanten, um noch später den Wahn, mit dem Feuer eines sittenverdorbenen Hoflebens spielen zu können, mit ihrem Kopfe zu bezahlen. P. beginnt gleichfalls seine Laufbahn als Idealist, um demnächst seine Rolle als ein bald eingeschulter, intriguanter Diplomat weiter zu spielen“.

Wir wollen sein Thun und Verhalten König August gegenüber durchaus nicht für sittlich gerechtfertigt erklären; wie man vom Standpunkte der Moral darüber zu urtheilen hat, liegt außer allem Zweifel. P. hat gefährliche Intriguen gegen seine Gegner, die doch, freilich nur nominell, seine Bundesgenossen waren, eingefädelt, und dieselben zu täuschen gesucht; man darf aber auch nicht vergessen, in welcher Lage er sich befand. Sollte er ruhig zusehen, wie seine Bundesgenossen sich mit seinen Todfeinden die Hände reichten? Das vermochte er nicht. Seine Parade verräth dieselbe Fechterkunst, wenn er aus einer, seiner bisherigen Politik so ganz widersprechenden Combination für den Zaren und sich die größten Vortheile abzuleiten bereit war. Will man den Mangel seiner Wahrheitsliebe und die Verwerflichkeit seiner Schritte rügen, so muß man gleichfalls das Verhalten des Königs August und seiner Minister ihm gegenüber ein gewissenloses, falsches Spiel nennen; sie haben ihn auf eine schiefe Bahn getrieben und dürfen demnach der Verantwortlichkeit nicht entzogen werden. Der Conflikt löste sich tragisch für P. und erschütternd ist die Buße der Schuld.

Ehe wir den letzten Abschnitt seiner Lebensgeschichte, seinen Ausgang, behandeln, erübrigt noch die Beantwortung der Frage, was für Absichten hat P. mit Livland nach seinem Austritt aus sächsischem Dienste verfolgt: muß man Jarochowski vollkommen Recht geben, wenn er behauptet, P. habe Livland aus seinem Programm als einen verlorenen Posten gestrichen, und er sei selbst den Interessen des Landes in dem Maße entfremdet, daß man vergeblich in seinen zahlreichen Schriften und Verhandlungen auch nur nach dem Namen seines Vaterlandes Livland sucht? Betreffs der ersten Frage ist Folgendes zu bemerken: Fast bis zum Schluß der Laufbahn Patkul’s lag dem Zaren die Absicht einer Incorporation Livlands, das der Republik Polen kraft verschiedener Verträge [235] zufallen sollte, durchaus fern. Im Grundsatz stand auch P., obgleich er gelegentlich dem Zaren gegenüber verlockende Aussichten auf gewisse Erwerbungen diesseits der Narowa machte und eine Theilung Polens in Betracht zog, für die Aufrechterhaltung der größtentheils von ihm zustande gebrachten Verträge ein. Den Gedanken einer Selbständigkeit Livlands, dieses von mächtigen, um den Besitz des Dominiums am baltischen Meere miteinander concurrirenden Reichen umworbenen Gebietes hielt auch er für undurchführbar, dagegen mußte er in der Wiederherstellung der verletzten Landesrechte das Ziel seines Strebens sehen. Das Schicksal Livlands wollte er nicht allein von der Entscheidung der Waffen, sondern wol hauptsächlich von dem Ergebniß der den Krieg beendenden Friedensunterhandlungen abhängig machen, von denen er auch für sich eine Rehabilitation seiner Person erhoffte. Bezüglich des letzten Umstandes weisen wir auf die Thatsache hin, daß er den Kaiser und den Zaren um eine Verwendung bei einem eventuellen Friedensschluß für sich behufs Erlangung einer Amnestie von Seiten der Schweden bittet. Seiner früher ausgesprochenen Ansicht, die Seemächte England, Holland, Dänemark und Brandenburg hätten, falls der Zar Est- und Livland zu besetzen Miene machen sollte, das Entscheidungsrecht über die Zugehörigkeit dieser Länder und würden als Garanten der Verträge anzusehen sein, wird er auch später gehuldigt haben, da er eine Besitznahme derselben durch Rußland für vertragswidrig hielt. Für sein dem Land bewahrtes Interesse sprechen noch andere Momente. Nach seiner Rückkehr aus Wien 1702 äußerte er seinen Unwillen über die grausame und verwüstende Kriegführung der Russen in Livland, zugleich forderte er die Auslieferung zweier, von den Kosaken geraubten und in die Ukraine entführten Livländerinnen, der Töchter des livländischen Landraths Vietinghoff. Im J. 1704, wo er durch die diplomatischen Geschäfte ganz ungemein in Anspruch genommen war, rügte er in heftiger Sprache in einem an Golowin gerichteten Schreiben das barbarische Verfahren der Russen in Livland. „Die Ravage in Livland und die gar zu unchristlichen Proceduren mit den Bewohnern des Landes“ bezeichnet er als unerhörten Vertragsbruch und schildert in ausführlicher Weise die aus demselben für den Zaren sich ergebenden verhängnißvollen Consequenzen. Obgleich P. sich im Auftrage des Königs an den russischen Großkanzler wendet, so sind seine Auslassungen Eingebungen von Empfindungen, die eine Anhänglichkeit an sein Vaterland nicht verkennen lassen, und deutlich geht auch aus dem Briefe die von ihm vertretene Ansicht über eine Vereinigung Livlands mit Polen hervor, an der er auch noch in seinem letzten, seine Laufbahn abschließenden politischen Acte festgehalten hat. In dem mit dem österreichischen Gesandten Strattmann abgeschlossenen Tractate betreffs der Ueberführung russischer Truppen in österreichische Dienste spricht er auch von den seitens Oesterreichs zu befürwortenden russischen Erwerbungen und will von Oesterreich nur einen Hafen am baltischen Meere garantirt wissen. Wenn er eine Einverleibung Livlands durch Rußland angestrebt hätte, so wäre der zwischen August und Zar Peter abgeschlossene Vertrag nicht so von ihm respectirt worden. Daß die Rechte und Freiheiten Livlands in seinen Schriften keine Erwähnung finden, darf nicht Wunder nehmen: dieselben konnten erst später nach Erledigung verschiedener Vorfragen bei einem definitiven Friedensschlusse zur Sprache kommen. Das Angeführte beweist, daß Livland stets einen wichtigen Factor seiner Politik bildete und daß das Schicksal seines Vaterlandes ihm bis zuletzt am Herzen lag.

Die Katastrophe führte Patkul’s eigenmächtige Verfügung über die in Sachsen stationirten russischen Truppen herbei, über deren Verwendung nach sächsischer Auffassung eine definitive Entscheidung nur dem sächsischen Kriegsrath und nicht dem russischen Generalcommissar zukomme, da die russischen Soldaten dem König August zur Verfügung gestellt waren. Als die sächsischen Truppen von Karl XII. [236] aus Polen verdrängt wurden, sah sich auch das russische Hülfscorps genöthigt sich zurückzuziehen und in der Oberlausitz Quartier zu nehmen, wo dasselbe trotz aller Vorstellungen Patkul’s von der sächsischen Regierung eine so ungenügende Verpflegung erfuhr, daß endlich P. vom russischen Großkanzler Golowin die erwünschte Ordre erhielt, die besagten Truppen, falls die Zurückführung derselben durch Polen nach Rußland auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoße, im äußersten Nothfall unter den möglichst vortheilhaftesten Bedingungen auf die Dauer einer Campagne dem Kaiser zu überlassen. Am 15. December 1705 schloß P., die Vortheile Rußlands und Sachsens im Auge haltend, das Geschäft der Ueberführung des russischen Hülfscorps in kaiserliche Dienste ab. König August hielt sich zur Zeit in Grodno auf, und Patkul’s Feinde, an ihrer Spitze der Statthalter Fürstenberg, benutzten die Gelegenheit, wo die Macht in ihren Händen lag, zum Sturze des verhaßten Günstlings. Wegen seiner Competenzüberschreitung und seiner vielfachen Intriguen wurde er verhaftet und auf die Veste Sonnenstein gebracht (19. December 1705). Das war ein Attentat gegen die Unverletzlichkeit des Repräsentanten einer fremden Macht und verursachte ein großes Aufsehen. Es hat den Anschein, als ob diejenigen Personen, von denen Patkul’s fernere Schicksale abhingen, August und Peter, sich über die gegen ihn ergriffenen Maßregeln für’s Erste geeinigt hätten. August mochte vielleicht mit innerer Schadenfreude den Abschluß der Laufbahn Patkul’s begrüßt haben, Peter, mangelhaft unterrichtet, zeigte sich inconsequent, lau und unentschieden, später warnte und drohte er, wenn man seinen Gesandten nicht freilasse, aber über Warnungen und Drohungen ist er nicht hinausgegangen. Von allen verlassen, richtet der in seinem Ehrgefühl tiefgekränkte P. ergreifende Schreiben an den Zaren und an die Oeffentlichkeit, in denen er die ihm und seinem Herrn widerfahrene Schmach, seine Unschuld und die Verletzung des Völkerrechts darlegt. Vergeblich sind seine Rufe. Am 9. September 1706 bringt man ihn auf die Festung Königstein. Bald darauf rückt Karl XII. in Sachsen ein und zwingt August zum Frieden von Altranstädt, dessen 11. Artikel die Auslieferung des Livländers Joh. Reinh. Patkul fordert. Jetzt begann sich in August der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gegen P. eingeschlagenen Verfahrens zu regen und sein Gewissen zu schlagen. Das Bewußtsein seiner Schuld, die Furcht vor dem Zaren und der öffentlichen Meinung riefen die Bedenken wach, welche die Ueberantwortung Patkul’s verzögerten. Den Umständen keineswegs widersprechend erscheint uns die Mittheilung. August habe P. im geheimen die Möglichkeit der Flucht eröffnet, jedoch sei von diesem das Anerbieten in dem Wunsch durch den Urtheilsspruch eines Gerichtshofes Genugthuung zu erhalten, abgelehnt worden. Hoffte er doch immer noch auf die Dazwischenkunft des Zaren, eine trügerische Hoffnung! Karl XII. verlangte energisch die Ausführung des Friedenstractates. und länger wagte man den unerbittlichen Schwedenkönig nicht zu reizen. In der Nacht wurde P. einer Reiterabtheilung des Generalmajors v. Meyerfeld ausgeliefert und in Ketten abgeführt (7. April 1707). Heftig klagte der Zar in seinem Schreiben an König August und an den Kaiser über das seinem Gesandten angethane Unrecht – zu spät! Patkuls Schicksal war, nachdem er seinem unversöhnlichsten Feinde in die Hände gefallen, entschieden. In Kazmierz ließ Karl XII. sein grausames Urtheil am 10. October 1707 vollstrecken. Der Regimentsprediger Lorenz Hagen, der Berichterstatter über jenen schrecklichen Vorgang, bereitete den Unglücklichen zum Tode vor. Wohl wußte der Verurtheilte, daß er am Ende seiner Laufbahn stehe, daß ihm seine Feinde schaudererregende Marter beschieden, ahnte seine Seele nicht. Von einem in seinem Handwerk ungeübten Henker wurde er, wie Karl XII. es angeordnet, gerädert und geviertheilt, und seine Gebeine sollten auf dem Blutgerüste vermodern. Das war das Ende des [237] einst so mächtigen Staatsmannes, welchen das Schicksal in den Streit der drei nordischen Herrscher verwickelt hatte, auf die sein Ausgang einen mehr oder weniger dunklen Schatten wirft. König August hatte sich P. gegenüber einer, vor keinem Richterstuhl zu rechtfertigenden Handlungsweise bedient, Zar Peter sich Mangel an Energie und Gleichgültigkeit gegen seinen treuen Diener zu Schulden kommen lassen, Karl XII. aber durch diesen grausamen Racheact für alle Zeiten seinen Heldenmuth befleckt.

Bernoulli, Joh. Reinh. v. Patkul’s Berichte an das zarische Cabinet. Bd. 1–3. 1792–1797. – Otto A. Wernich, Der Livländer Joh. Reinh. v. Patkul. Bd. 1. 1849. - Устряловъ, Исторія Царствованія Петра Великаго, Томъ IV. 1883. – C. Schirren, Livl. Antwort. 1869. – Fr. Bienemann, Aus baltischer Vorzeit. VI. 1870. – K. v. Jarochowski, Patkul’s Ausgang. Neues Archiv für sächsische Geschichte. Bd. 3, 1882–1883. – Otto Sjögren, Johann Reinh. Patkul, Historik Karaktersbild. 1882. – C. Schirren, Ueber Fredrik Ferd. Carlson’s Carl XII. Th. I. Göttingische gel. Anz. 1883. – Ed. Bodemann, Leibnitzens Plan einer Societät der Wissenschaften in Sachsen. Neue Archiv für sächsische Geschichte. Bd. 4. 1883. – C. Schirren, Patkul und Leibnitz. Mitth. aus der livld. Geschichte. Bd. 13. 1884. – C. Mettig, Joh. Reinh. v. Patkul. Nordische Rundschau Bd. 3. 1885. – H. v. Bruiningk, Patkuliana a. d. livld. Hofgerichtsarchive. Mitth. a. d. livld. Geschichte. Bd. 14. 1886.
Mettig.
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