ADB:Parler, Peter (Baumeister)
[276] MCCCLXXXXVI . quo anno incepit sedilia illius . et infra tempus prescriptum etiam incepit et perfecit chorum omnium sanctorum . et rexit pontem multavie . et incepit a fundo chorum in colonia circa albeam.“ Daß in dieser Schrift „polonia“ als die Heimath des Magisters Heinrich genannt wird, rührt von einer Fälschung her, indem ein tschechischer Fanatiker den Buchstaben C in P abänderte, um der Familie eine slavische Abstammung zu verleihen. (Dergleichen im tschechisch nationalen Sinne ausgeführte Fälschungen waren in Böhmen seit ältester Zeit an der Tagesordnung.) Durch Merlo’s Untersuchungen der Kölner Schreinbücher wurde zur Evidenz dargethan, daß die Gmündner Steinmetzfamilie der Stadt Köln angehörte und daß alle Mitglieder stets intime Beziehungen mit dieser Stadt unterhielten. Die Jungendgeschichte Gmünd’s ist in Dunkel gehüllt: den ersten Unterricht in der Baukunst erhielt er ohne Zweifel von seinem Vater, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach die im J. 1351 gegründete h. Kreuzkirche zu Gmünd ausgeführt hat und von welchem auch der erste Plan zum Bau des Ulmer Münsters herrühren soll. Nach zurückgelegten Lehrjahren arbeitete G. einige Zeit in Köln, wo er sich mit einer Tochter des dort ansässigen Baumeisters Bartholomäus von Hamm verheirathete. Im J. 1356, als Kaiser Karl IV. Schwaben bereiste und sich mehrere Tage in Gmünd aufhielt, war P. daselbst anwesend und, wie sich aus der Sachlage ergibt, am Bau der Kreuzkirche beschäftigt. Dieser Bau scheint dem Kaiser so sehr gefallen zu haben, daß er G. nach Prag berief und ihn zum Dombaumeister an Stelle des verstorbenen Matthias von Arras einsetzte. In dieser Stellung scheint sich der noch jugendliche Meister bald allgemeines Vertrauen erworben zu haben, da er schon im J. 1358 mit Ausführung der großen Moldaubrücke in Prag beauftragt wurde. Von dem Zeitpunkte seiner Berufung an (September 1356) mehren sich die Nachrichten über das Wirken des Künstlers von Jahr zu Jahr: er entwickelte eine fast unbegreifliche Thätigkeit, welche um so größere Anerkennung verdient, als er, um sich mit den untergeordneten Arbeitern verständigen zu können, erst die ihm fremde böhmische Sprache erlernen mußte. Neben den zwei riesenhaften Bauführungen des Domes und der Brücke war G., als kaiserlichem Architekten, auch die Vollendung des Schlosses Karlstein zugefallen, welches von seinem Amtsvorgänger Mathias begonnen, aber nur im Rohbau hergestellt worden war, so daß unser Meister die ganze Ausstattungsarbeit zu besorgen hatte. Der 1344 nach den Planen des Mathias gegründete, aber nur an einer einzigen Stelle bis zur Höhe der Seitenschiffe ausgeführte Dom bot, als G. die Bauleitung übernahm, eine der schwierigsten architektonischen Aufgaben, welche nur gedacht werden kann. Mathias war 1352 gestorben, ohne genügende Plane hinterlassen oder einen tüchtigen Werkführer herangebildet zu haben: nach seinem Tode hatten die geistlichen Baudirectoren vier Jahre lang herumgepfuscht, die ursprüngliche, ihnen zu großartig erscheinende Anlage verkleinert, den nördlichen Kreuzarm ganz eingezogen und in den südlichen, ohne alle Rücksicht auf Symmetrie und constructive Anordnung, einen dem heiligen Wenzel gewidmete Capelle so verkehrt hineingestellt, daß das schon angelegte Hauptportal verbaut und jeder regelmäßigen Durchführung ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben wurde. Gerade in Ueberwindung dieser Schwierigkeiten bewährte sich des jungen Baumeisters Talent aufs glänzendste. Da die in der Zwischenperiode hergestellten Bautheile nicht mehr beseitigt werden konnten oder durften, überkleidete und maskirte er sie nach Möglichkeit, brachte die widerstrebenden Partien in Uebereinstimmung und wußte, ohne seine eigene originale Kunstrichtung aufzugeben, dem Gebäude jenes einfach feierliche Gepräge zu verleihen, welches von je selbst von den Gegnern der gothischen Architektur bewundert wurde. Der Dom zu Prag, wie wir ihn gegenwärtig erblicken, ist ganz eigentlich das Werk des Gmündener [277] Meisters. Als Ingenieur und Brückenbaumeister hat G. in Anbetracht seiner an Hilfsmitteln sehr armen Zeit nicht allein Außerordentliches geleistet, sondern auch eine neue Bahn eröffnet, indem er zuerst Segmentbogen von ca. 80 Fuß Spannweite (25 M.) ausführte, während die früheren und gleichzeitigen Meister höchstens 35 Fuß weite Halbkreisbogen aufzustellen wagten. Die Moldaubrücke war ursprünglich 1645 Wiener Fuß lang und hatte 16 Bogenöffnungen von 70–80 Fuß Weite: sie wurde trotz mancher Störungen zum größten Theile noch bei Lebzeiten Gmünd’s vollendet; Aeneas Sylvius, welcher um 1450 eine Geschichte von Böhmen verfaßte, erwähnt die steinerne Brücke, welche die beiden Stadttheile Prags verbindet, ganz ausdrücklich als altbestehend. Andere großartige, durch Meister G. ausgeführte Baudenkmale sind: die Karlshofer Kirche mit dem schönsten und weitest gespannten Kuppelgewölbe gothischer Contruction, – der Chorbau zu Kolin, für sich ein besonderes Gebäude mit Umgang und Capellenkranz, – die St. Barbarakirche zu Kuttenberg, nächst dem Dome die größte Kirche Böhmens, jedoch nur bis zur Arkadenhöhe nach Gemünd’s Planen ausgeführt, – dann die beiden Brückenthürme in Prag, weltberühmte Meisterwerke der gothischen Profanarchitektur. Die Anzahl der kleineren Gebäude, welche der Meister theils persönlich geleitet, theils durch seine Schüler hat ausführen lassen, ist sehr beträchtlich, auch erstreckte sich sein Einfluß weit über die Grenzen Böhmens, einerseits nach Schlesien und der Lausitz, anderseits nach Mähren und der bairischen Oberpfalz. Wie späterhin Michelangelo Buonarotti in allen Kunstfächern sich als Meister ersten Ranges bewährte, zeichnete sich auch G. als Bildhauer, Ciseleur, Former und sogar als Maler aus. Er war es, welcher in Böhmen zuerst eine Bildhauerschule gründete, aus welcher nicht allein alle im Prager Dome angebrachten Sculpturen, sondern fast unzählige im ganzen Lande zerstreute Werke hervorgingen. Seine erste eigenhändig ausgeführte Arbeit scheint eine um 1360 vollendete Statue des heiligen Wenzel zu sein, welche, mit des Meisters Handzeichen versehen, noch ziemlich wohlerhalten im Dome aufbewahrt wird. Diese ungemein fleißig und mit größter Zartheit durchgebildete Figur läßt noch die conventionelle gothische Manier und stellenweise den Anfänger durchschimmern, während die zwischen 1375–85 ausgeführte Portraitsammlung in der Domgallerie, aus einundzwanzig Büsten bestehend, gründliche Naturstudien und eine sehr ausgebildete Technik verräth. Die Wenzelstatue sowol, wie die Büsten sind aus feinkörnigem Sandstein hergestellt, ein für den Cardinal und Erzbischof Johann Očko v. Wlaschim errichtetes Grabmal, auf dessen Deckplatte das überlebensgroße Standbild des Verstorbenen angebracht ist, besteht aus weißem Marmor und zeigt vollständige Beherrschung des Materials. Dann wird dem Gmündner eine Reihe von Denkmalen (Fürstengräbern) zugeschrieben, welche Kaiser Karl in den Domcapellen hat aufstellen lassen. Diese Denkmale haben so ziemlich gleiche Form und bestehen je aus rechteckigen, mit Wappen geschmückten Untersätzen und darauf ruhenden Standbildern. Von den Figuren scheinen die meisten unter Gmünd’s Oberaufsicht durch Schüler oder Gehilfen angefertigt worden zu sein, nur die Heldengestalt des Königs Ottokar II. macht eine Ausnahme und dürfte ganz vom Meister selbst vollendet worden sein. Die in der erwähnten Inschrift als Werke Gmünd’s bezeichneten Chorstühle im Prager Dome sind im J. 1541 durch einen großen Brand zerstört worden, weshalb wir seine gewiß bedeutenden Leistungen im Gebiete der Holzschnitzerei nicht beurtheilen können. Einigen Ersatz bieten zwei monstranzenförmige aus Silber gearbeitete und mit des Meisters Zeichen versehene Reliquiare, welche sich im Prager Domschatze befinden. Diese in reinsten gothischen Stil durchgeführten Reliquenbehältnisse zeichnen sich eben so sehr durch Eleganz der Form, wie sorgfältige Bearbeitung aus und sind in der Folge als mustergiltige Vorbilder der [278] Monstranze hundertfältig nachgeahmt worden. Als Maler beschränkte G. seine Thätigkeit auf die polychrome Ausstattung seiner Skulpturwerke und verstand nach Art der schwäbischen Meister eine überraschende, aber keineswegs abstoßende Naturwahrheit zu erreichen, wie die Porträtbüsten in der Domgallerie beweisen. Gewährt diese gedrängte Aufzählung und Schilderung der von Meister G. ausgeführten Werke ein ziemlich vollständiges Bild seiner künstlerischen Thätigkeit, lassen die in Prag und Köln vorhandenen Urkunden auch manchen Einblick in seine häuslichen Verhältnisse zu. Der Meister war bei seiner Ankunft in Prag bereits verheirathet und zwar, wie schon gemeldet wurde, mit einer Baumeisters-Tochter aus Köln, Namens Druda (Gertrud), aus welcher Ehe drei Söhne und eine Tochter hervorgingen. Im J. 1360 besaß G. bereits ein Haus auf dem Schloßplatze zu Prag, welcher Stadttheil damals unter dem Namen Hradschan eine unabhängige städtische Gemeinde bildete. Um diese Zeit wurde er auch zum Schöffen erwählt, welche Thatsache von der ungetheilten Anerkennung zeugt, deren sich der Künstler erfreute, welcher schon damals den Beinamen Parler oder Parlerius führte. Frau Druda scheint frühzeitig gestorben zu sein, denn im J. 1370 fand sich G. allein in Köln ein, um über das auf einem dortigen Hause ruhende Erbtheil seiner Gattin zu verfügen. Nun vermählte sich der Meister mit Agnes v. Bur aus ritterlichem Geschlechte und erwarb zugleich ein zweites Haus auf dem Hradschin, trat aber in der Folge beide an seine Frau und seinen aus zweiter Ehe stammenden Sohn ab, indem er für sich und seine Kinder aus erster Ehe ein größeres Haus erwarb und diesem bald ein zweites hinzufügte. Die heranwachsenden Kinder, die Ankäufe von so vielen Häusern und die Verheirathung seiner Tochter mit einem Kölner Steinmetzen machten verschiedene Auseinandersetzungen nothwendig, welche alle in einem auf uns gekommenen Gerichtsbuche eingetragen sind. Wir ersehen aus diesem Buche, daß sich G. einer bedeutenden Wohlhabenheit erfreute, in hohem Ansehen stand und bis in sein Greisenalter ununterbrochen thätig war. Das Todesjahr des Künstlers ist nicht bekannt, im J. 1396 wird er in einer an der Südseite des Prager Domes angebrachten Gedächtnißtafel noch als wirkender Dombaumeister angeführt, trat aber sein Amt bald darauf an seinen zweiten Sohn Johann ab, welcher von 1398 an die Bauleitung führte. In einer Urkunde von 1401 wird Peter zum letzten Mal erwähnt, er dürfte mithin ein Alter von 70 Jahren erreicht haben. Von seinen Kindern verblieb nur Johann, welcher mit der Wittwe eines reichen Gewerken aus Kuttenberg verheirathet war, in Prag: die übrigen scheinen im Laufe der immer unruhiger werdenden Zeit ausgewandert zu sein. G. ist nicht allein einer der thätigsten und vielseitigsten Künstler des vierzehnten Jahrhunderts, sondern auch ein unermüdlicher Förderer des deutschen Kunstlebens in den Ostmarken. Leider wurden durch die bald nach seinem Tode ausbrechenden Hussitenstürme viele seiner Werke zerstört und die durch ihn gegründete Schule zerstreut. In der Domgallerie befindet sich das Portrait des Meisters, von seiner eignen Hand gemeißelt und mit seinem Handzeichen, einem doppelten Winkel, versehen. Es zeigt den Künstler als sehr schönen Mann zwischen 50 und 60 Jahren, mit hoher Stirn, dünnen grauen Haaren, aber noch dunklem Barte: ein feines intelligentes Gesicht, welches weltmännische Bildung verräth.
Gmünd: Peter G., Dombaumeister und Bildhauer, in kunstgeschichtlichen Werken auch unter den Namen Arler und Parler angeführt, wird gleich den übrigen seiner Familie angehörenden Mitgliedern am richtigsten nach seinem Geburtsorte, der ehemaligen Reichstadt Schwäbisch-Gmünd in Würtemberg, benannt, wie er sich selbst „Petrus de Gemunden in Suevia“ unterzeichnete. Peter ist einer von den wenigen bahnbrechenden deutschen Meistern des Mittelalters, über dessen Thätigkeit und Lebensverhältnisse wir zuverlässige Nachrichten besitzen. Er wurde laut einer im Dome zu Prag befindlichen Inschrift im J. 1333 zu Gmünd geboren, wo sein aus Köln stammender Vater sich als Steinmetzmeister häuslich niedergelassen hatte. Die Inschrift, welche um 1385 wenn nicht von Meister G. selbst, so doch unter seinen Augen geschrieben wurde, lautet: „Petrus . henrici arleri . de polonia (colonia) magistri . de gemunden in suevia . secundus magister hujus fabrice . quem imperator Karolus adduxit de dicta civitate . et fecit eum magistrum hujus ecclesie . et tunc fuerat annorum XXIII . et incepit rege anno dmi . M.CCCLVI . et perfecit chorum istum anno dmi.- Als Quellen für sein Leben und Wirken sind vor Allem drei Inschriften aus den J. 1373, 1385/86 und 1396 zu nennen, von denen die erste in Kolin, die beiden andern am Prager Dome angebracht sind. In allen wird der Meister als „Petrus de Gemunden in suevia“ bezeichnet. Ferner zwei Bände Dombaurechnungen, die J. 1372–78 incl. umfassend. Diese Original-Rechnungen befinden sich im Archive des Prager Domcapitels, sie geben über den [279] Dombau und auch seinen Leiter, welcher hier gewöhnlich Parlerius genannt wird, umfassende Aufschlüsse. Ferner das schon erwähnte, im Archive des Magistrats von Prag aufbewahrte handschriftliche Gerichtsbuch, betitelt: „liber judiciorum bannitorum civitatis Hradeczanensis“, welches die von Meister G. gemachten Ankäufe, dann die Familienverträge u. dgl. enthält. Hier kommen sowol die Namen Peter von Gemünd, Peter Parler, Parlerius und böhmisirt Parlerz, wie auch idoneus vir magister Petrus und andere Bezeichnungen vor. Einen Auszug aus diesem Buche, den Meister G. betreffend, hat Ferd. Mikowec in der böhmischen Zeitschrift Kwéty (1847, Nr. 31–32) veröffentlicht. Endlich auch die Kölner Schreinsbücher. Diese enthalten die gerichtlichen Verhandlungen über die Hinterlassenschaft des Steinmetzmeisters Bartholomäus, Schwiegervater des Dombaumeisters G. J. J. Merlo hat unter dem Titel: Peter von Gmünd, Kaiserlicher Dombaumeister zu Prag, im Organ für christliche Kunst, Köln, XV. Jahrg., 1865, eine aus diesen Büchern entnommene Abhandlung herausgegeben, welche viele ganz neue Aufschlüsse über die Gmündner Steinmetzfamilie enthält. Vgl. ferner A. Ambros, Der Dom zu Prag, Prag 1858. Kalender des Prager Dombauvereins, 1862, mit einer Abhandlung über den Dom zu Prag von W. W. Tomek. B. Grueber, Die Kunst des Mittelalters in Böhmen, Wien 1877, III. Theil, S. 160 ff.