Möllemann, Jürgen
- Lebensdaten
- 1945 – 2003
- Geburtsort
- Augsburg
- Sterbeort
- nahe Marl (Nordrhein-Westfalen)
- Beruf/Funktion
- FDP-Politiker ; Bundesminister ; Vizekanzler ; Unternehmensberater ; Politiker
- Konfession
- römisch-katholisch, später konfessionslos
- Normdaten
- GND: 11884282X | OGND | VIAF: 37713535
- Namensvarianten
-
- Möllemann, Jürgen Wilhelm
- Möllemann, Jürgen
- Möllemann, Jürgen Wilhelm
- Möllemann, Jürgen W.
- Möllemann, Jürgen
- Möllemann, Jürgen Wilhelm
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Verknüpfungen
Personen im NDB Artikel
- Guido Westerwelle (1961–2016)
- Günter Rexrodt (1941–2004)
- Hans-Dietrich Genscher (1927–2016)
- Helmut Kohl (1930–2017)
- Irmgard Schwätzer (geb. 1942)
- Jamal Karsli (geb. 1956)
- Klaus Kinkel (1936–2019)
- Muhamar al-Gaddafi (1942–2011)
- Otto Graf Lambsdorff (1926–2009)
- Wolfgang Gerhardt (geb. 1943)
- Yassir Arafat (1929–2004)
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Möllemann, Jürgen Wilhelm
1945 – 2003
FDP-Politiker, Bundesminister, Vizekanzler, Unternehmensberater
Jürgen Möllemann gehörte in den 1980er und 1990er Jahren dem engsten Führungszirkel der FDP an, wurde 1987 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1991 Bundesminister für Wirtschaft und 1992 Vizekanzler im vierten Kabinett von Helmut Kohl (1930–2017). Durch seinen Ehrgeiz und Hang zu politischen Eskapaden war er in der Öffentlichkeit und in der eigenen Partei zunehmend umstritten; seine politische Karriere endete 2003 nach Bekanntwerden illegaler Finanzierung seiner Wahlkampagnen.
Lebensdaten
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Autor/in
→Jürgen Frölich (Bonn)
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Zitierweise
Frölich, Jürgen, „Möllemann, Jürgen“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11884282X.html#dbocontent
Möllemann zog 1948 mit seiner Mutter zu seinem am Niederrhein lebenden Vater. Dort besuchte er das Gymnasium, wurde 1962 CDU-Mitglied und legte 1965 als erster seiner Familie das Abitur ab. Seine beim anschließenden Wehrdienst erworbenen Fähigkeiten als Fallschirmspringer setzte er später auch zur politischen Werbung ein. Der Studienzeit von 1966 bis 1969 in Münster, wo er AStA-Vorsitzender war, folgte das Referendariat an Grund- und Hauptschulen und ein kurzer Einsatz als Lehrer in Dülmen und Beckum.
1970 trat Möllemann in die FDP ein und wurde 1972 über die nordrhein-westfälische Landesliste Bundestagsabgeordneter. Zunächst bildungspolitischer Sprecher, wandte er sich seit 1975 als sicherheitspolitischer Sprecher der FDP und von 1978 bis 1982 als Vorsitzender des Arbeitskreises für Außen-, Deutschland-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik der FDP-Fraktion verstärkt der Außenpolitik, v. a. der arabischen Welt und dem Nahen Osten zu. Dabei war sein politisches Wirken von Anfang an von ausgeprägter Öffentlichkeitsarbeit und Selbstdarstellung, zudem stärker von Pragmatismus und einem Hang zu Alleingängen als von liberaler Parteiloyalität gekennzeichnet. Der Koalitionswechsel von 1982, den Möllemann vehement unterstützte, brachte für ihn einen großen Karriereschub. Der FDP-Vorsitzende und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) ernannte ihn 1982 zum Staatsminister im Auswärtigen Amt, kurz darauf übernahm er den Vorsitz des größten FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.
Möllemann galt als „Minenhund“ Genschers, der scheinbar eigenmächtig, aber kaum ohne Wissen des Außenministers heikle und in der Öffentlichkeit umstrittene Missionen wie Treffen mit außenpolitisch problematischen Persönlichkeiten wie Yassir Arafat (1929–2004) und Muhamar al-Gaddafi (1942–2011) durchführte. Möllemann nutzte dies zum Aufbau eines Netzwerks in die arabische Welt, das er als langjähriger Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft ab 1981 verstärkte. Auch seine 1993 gegründete Firma WEB/TEC – Wirtschafts- und Exportberatung soll davon profitiert haben.
Nach dem FDP-Erfolg bei den Bundestagswahlen 1987 übernahm Möllemann das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, in dem er sich trotz geringer Bundeskompetenzen in diesem Bereich erfolgreich profilierte. Er erreichte einen überproportionalen Anteil seines Ministeriums am Bundeshaushalt, die Verabschiedung einer BAFöG-Novelle 1989 und legte zwei insgesamt sechs Milliarden D-Mark umfassende Sonderprogramme für die Hochschulen auf. Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 übernahm Möllemann im vierten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017) gegen den von Otto Graf Lambsdorff (1926–2009) unterstützten Günter Rexrodt (1941–2004) mit dem Bundesministerium für Wirtschaft ein klassisches Ressort, nachdem er sich in einer fraktionsinternen Kampfabstimmung gegen Rexrodt durchgesetzt hatte. In seiner Amtszeit war Möllemann v. a. mit der wirtschaftlichen Transformation in den neuen Bundesländern befasst, die er durch einen allgemeinen Abbau der Subventionen um 10 % und – entgegen der Linie der Regierung und der eigenen Partei – mit Steuererhöhungen finanzieren wollte, wobei er nur geringen Erfolg hatte.
Nach dem Rückzug Genschers aus der aktiven Politik im April 1992 setzte sich Möllemann in einem parteiinternen Machtkampf, der in den FDP-Führungsgremien zu erheblichen Verwerfungen führte, gegen Konkurrenten wie die Kabinettskollegen Irmgard Schwätzer (geb. 1942) und Klaus Kinkel (1936–2019) durch und folgte Genscher als Vizekanzler nach. Seine Hoffnungen auf den Parteivorsitz zerschlugen sich jedoch, als er Anfang 1993 wegen der sog. Briefbogen-Affäre – deutschen Handelsunternehmen wurde mit ministeriellem Briefkopf die Firma eines Verwandten Möllemanns empfohlen – sein Ministeramt aufgeben und auf die Kandidatur zum Parteivorsitz verzichten musste.
Möllemann führte nach seinem Amtsverlust scharfe Angriffe gegen die neue FDP-Parteiführung unter Kinkel, weshalb der FDP-Landesvorstand 1994 seinen Rücktritt als Parteichef in Nordrhein-Westfalen erzwang. Nach seiner erfolglosen Kandidatur 1995 gegen Wolfgang Gerhardt (geb. 1943) für den FDP-Bundesvorsitz wurde er 1996 erneut zum Landesvorsitzenden der damals nicht im Landtag vertretenen nordrhein-westfälischen FDP gewählt. 2000 führte er unter dem Motto „Projekt 8“ eine provokante Kampagne zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl, die für die FDP zu einer Stimmenverdopplung auf 9,8 % führte.
Gegen innerparteiliche Widerstände übertrug Möllemann diese Kampagne unter dem Stichwort „Projekt 18“ auf die Bundestagswahl 2002, wo die FDP mit dem Parteivorsitzenden Guido Westerwelle (1961–2016) als Kanzlerkandidaten antrat. Der Wahlkampf wurde belastet durch die Verstrickung Möllemanns in Debatten um Antisemitismus, ausgelöst durch die Aufnahme des palästinensisch-stämmigen und israel-kritischen ehemaligen Landtagsabgeordneten der Grünen, Jamal Karsli (geb. 1956), in die FDP-Landtagsfraktion durch Möllemann, der die Kritik daran mit scharfen Angriffen auf israelische Politiker und Vertreter des Zentralrats der Juden erwiderte und in einem Wahlkampf-Flugblatt verbreitete. Die FDP-Führung distanzierte sich davon und suchte Mölleman zum endgültigen politischen Rückzug zu bewegen, v. a. nachdem die illegale Finanzierung der Kampagnen bekannt geworden war. Er verlor seine Parteiämter, wurde aus der Bundestagsfraktion ausgeschlossen und kam einem Parteiausschluss durch seinen Austritt zuvor.
Am selben Tag, als Möllemanns parlamentarische Immunität aufgehoben wurde und auf der Basis staatsanwaltlicher Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz sowie Betrugs und Untreue umfangreiche Durchsuchungen in seinen Büros und Wohnungen begannen, stürzte er bei einem Fallschirmsprung ab; spätere Untersuchungen sahen darin eher einen Suizid als einen Unfall. Über seinen Tod hinaus beschäftigte Möllemann die FDP dadurch, dass die Partei nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2013 wegen seiner dubiosen Wahlkampffinanzierungen ca. zwei Millionen Euro Strafgelder zahlen musste.
1981 | Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (bis 1991, erneut 1993–2003) |
1990 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (mit Stern 1998) |
1992 | Karl-Valentin-Orden der Münchner Faschingsgesellschaft Narhalla |
Teilnachlass:
Archiv des Liberalismus, Gummersbach.
Weitere Archivmaterialien:
Archiv des Liberalismus, Gummersbach, Bestand FDP-Landesverband Nordrhein-Westfalen.
Archiv des Liberalismus, Gummersbach, Bestand FDP-Fraktion im Bundestag.
Bundesarchiv Koblenz, B 102 (Bundesministerium für Wirtschaft), B 138 (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft).
Günter Cramer/Jürgen W. Möllemann/Hermann Schmidt, Zukunftsaspekte der Berufsbildung, 1987.
Klartext. Für Deutschland, 2003. (P)
Monografien:
Reimar Oltmanns, Möllemänner oder die opportunistischen Liberalen, 1988.
Rainer Hitzler, Eine Medienkarriere ohne Ende? Fallstudie zur öffentlichen Selbstdarstellung von Politikern am Beispiel von Jürgen Möllemann, 1991. (Onlineressource)
Michael Naumann (Hg.), „Es muß doch in diesem Lande wieder möglich sein ...“. Der neue Antisemitismus-Streit, 2002.
Christoph Greiner, Jürgen W. Möllemann 1945–2003. Ein politisches Leben, 2010. (P)
Christoph Greiner, Der Mensch und Politiker Jürgen W. Möllemann, 2010. (P)
Elisabeth Falgner, Die Affäre Jürgen W. Möllemann 2012. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Lexikonartikel:
Winand Gellner/Markus Schön, Art. „Möllemann, Jürgen W.“, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949–1998. Biographisches Handbuch der deutschen Bundesregierungen, 2001, S. 490–493.
N. N., Art. „Möllemann, Jürgen W.“, in: Rudolf Vierhaus/Ludolf Herbst (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002, Bd. 1, 2002, S. 571 f.
Bernd Haunfelder, Art. „Möllemann, Jürgen W.“, in: ders., Nordrhein-Westfalen. Land und Leute. 1946–2006. Ein biographisches Handbuch, 2006, S. 324 f.
Wahlkampfveranstaltung 2.6.1970: Fallschirmsprung Möllemanns, in: Bundesarchiv, Filmothek.
Kurzbiografie, in: Landtag Nordrhein-Westfalen.
Kurzbiografie, in: Deutscher Bundestag. (P)
Fernseh-Interview in der ARD mit Jürgen W. Möllemann, 12.3.2003, in: YouTube. (P)
Interview mit Hans-Dietrich Genscher zum Tod von Jürgen W. Möllemann, 6.6.2003, in: Deutschlandfunk.
WDR-Stichtag zu Jürgen W. Möllemann, 2013, in: WDR Mediathek. (P)
Fotografien, 1977–2002, Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)