Brandt, Willy / Tarnname, seit 1949 amtlicher Name
- Lebensdaten
- 1913 – 1992
- Geburtsort
- Lübeck
- Sterbeort
- Unkel (Kreis Neuwied, Rheinland-Pfalz)
- Beruf/Funktion
- Politiker ; Bundeskanzler ; Bundesminister des Auswärtigen ; Regierender Bürgermeister von Berlin-West ; Parteivorsitzender ; Journalist ; Kanzler ; Bürgermeister ; Außenminister ; Sozialdemokrat
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 11851444X | OGND | VIAF: 41837116
- Namensvarianten
-
- Frahm, Herbert Ernst Karl / geboren
- Brandt, Willy / Tarnname, seit 1949 amtlicher Name
- Frahm, Herbert Ernst Karl / geboren
- Brandt, Willy
- Brandt
- Brandt, Vili
- Brandt, Villi
- Brandt, W.
- Brandt, Willi
- Brant, Vili
- Brānt, Wīlī
- Buranto
- Frahm, Herbert Ernst Karl
- Frahm, Karl
- Pŭrant'ŭ, Pilli
- W. B.
- Frahm, Herbert Ernst Carl / geboren
- Frahm, Herbert Ernst Carl
- Frahm, Carl
Vernetzte Angebote
- Wegbegleiter*innen - Willy Brandt online Biografie [2017-]
- LeMO - Lebendiges Museum Online [1998]
- Archiv der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) online [2015-]
- * Kabinettsprotokolle der Bundesregierung [2003-]
- Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck (SHBL) [1971-2011]
- * Filmportal [2010-]
- * Rheinland-Pfälzische Personendatenbank [1996-]
- Biographien der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
- * Kalliope-Verbund
- Archivportal-D
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- * Personen im Personenverzeichnis der Fraktionsprotokolle KGParl [1949-]
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- Diplomatische Dokumente der Schweiz 1848-1975 (via metagrid.ch) [2019]
- * Filmothek des Bundesarchivs [2015-]
- * Kabinettsprotokolle der Bundesregierung [2003-]
- * Historisches Lexikon Bayerns
- * Nachlass Sommerfeld beim Deutschen Museum
- * Nachlassdatenbank beim Bundesarchiv
- * Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954
- * Katalog des Deutschen Kunstarchivs (DKA) im Germanischen Nationalmuseum
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
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- * musiconn - Für vernetzte Musikwissenschaft
- Personen im Fachinformationsdienst Darstellende Kunst
- Index Theologicus (IxTheo)
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
- * Filmportal [2010-]
- Biographien der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
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- Wegbegleiter*innen - Willy Brandt online Biografie [2017-]
- LeMO - Lebendiges Museum Online [1998]
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Verknüpfungen
Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel
- Eduard Bernsteins (1850–1932)
- Egon Bahr (1922–2015)
- Fritz Bauer (1903–1968)
- Gerhard Schröder (1910–1989)
- Gerhard Schröder (geb. 1944)
- Günter Grass (1927–2015)
- Günter Guillaume (1927–1995)
- Heinrich Böll (1917–1985)
- Helmut Schmidt (1918–2015)
- Herbert Wehner (1906–1990)
- Julius Leber (1891–1945)
- Konrad Adenauer (1876–1967)
- Kurt Georg Kiesinger (1904–1988)
- Kurt Rosenfeld (1877–1943)
- Max Seydewitz (1892–1987)
- Oskar Lafontaine (geb. 1942)
- Oswald Petersen (1903–1992)
- Rainer Fetting (geb. 1949)
- Willy Stoph (1914–1999)
Personen in der GND - familiäre Beziehungen
- NDB 19 (1999), S. 525 in Artikel Ollenhauer, Erich (Ollenhauer, Erich)
- NDB 19 (1999), S. 186 (Neuss, Hans-Wolfgang Otto)
- NDB 20 (2001), S. 113 in Artikel Paul, Ernst (Paul, Ernst)
- NDB 23 (2007), S. 152 in Artikel Schmid, Carlo (Schmid, Carlo)
- NDB 23 (2007), S. 741 in Artikel Schumacher, Kurt (Schumacher, Kurt Ernst Karl)
- NDB 24 (2010), S. 760 in Artikel Springer, Axel (Springer, Axel Cäsar)
- NDB 25 (2013), S. 272 in Artikel Stern, Carola
- NDB 25 (2013), S. 293 in Artikel Sternberg, Fritz
- NDB 25 (2013), S. 442 in Artikel Stoph, Willi (Stoph, Willi)
- NDB 25 (2013), S. 509 in Artikel Strauß, Franz Josef (Strauß, Franz Josef)
- NDB 25 (2013), S. 563 in Artikel Strobel, Käte (Strobel, Käte, geborene Müller)
- NDB 25 (2013), S. 791 in Artikel Taro, Gerda (Taro, Gerda)
- NDB 26 (2016), S. 428 in Artikel Troeger, Heinrich (Troeger, Heinrich)
- NDB 26 (2016), S. 781 in Artikel Vetter, Heinz-Oska (Vetter, Heinz-Oskar)
- NDB 27 (2020), S. (Wechmar, Rüdiger Irnfried Eberhard Maximilian Joachim Freiherr von)
- NDB 27 (2020), S. (Wehner, Richard Herbert)
- NDB 27 (2020), S. 717 ( Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von)
- Adenauer, Konrad (NDB-online)
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Brandt, Willy (Tarnname, seit 1949 amtlicher Name; geborener Herbert Ernst Karl Frahm)
1913 – 1992
Politiker, Bundeskanzler, Bundesminister des Auswärtigen, Regierender Bürgermeister von Berlin-West, Parteivorsitzender
Willy Brandt war von 1964 bis 1987 Vorsitzender der SPD und von 1969 bis 1974 erster sozialdemokratischer Bundeskanzler der Bundesrepublik. Mit seinem Namen sind v. a. innenpolitische Reformen und die Neue Ostpolitik verbunden. 1971 erhielt Brandt den Friedensnobelpreis. Sein Kniefall in Warschau 1970 und sein Rücktritt wegen einer Spionage-Affäre 1974 sind bis heute im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik präsent. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 prägte er die Formel: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“.
Lebensdaten
-
Autor/in
→Hélène Miard-Delacroix (Paris)
-
Zitierweise
Miard-Delacroix, Hélène, „Brandt, Willy / Tarnname, seit 1949 amtlicher Name“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11851444X.html#dbocontent
Herkunft und frühe Prägungen
Brandt, geboren als Herbert Ernst Karl Frahm, wuchs im Lübecker Arbeitermilieu bei der Mutter und deren von Brandt als Großvater bezeichneten Adoptivvater auf, geprägt von den Werten und den Volksbildungs- und Freizeitgestaltungsstrukturen der SPD. 1928 trat er den Roten Falken und 1929 der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei. 1932 legte Brandt am Lübecker Gymnasium Johanneum das Abitur ab.
Brandt war bereits als Jugendlicher journalistisch beim „Lübecker Volksboten“ tätig. Seine frühen Presseartikel handelten von der Idee der Revolution in Arbeiterbewegung und Sozialismus. Der Lübecker SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber (1891–1945) war sein Mentor und führte ihn 1930 vor dem regulären Beitrittsalter in die SPD ein. Im Kontext der politischen Polarisierung und der Konfrontation von Organisationen der Arbeiterbewegung und der nationalsozialistischen SA auf der Straße widersetzte sich Brandt zu Beginn der 1930er Jahre der legalistischen Mehrheitslinie der SPD, brach 1931 mit Leber und wechselte zu der linksradikalen, von Kurt Rosenfeld (1877–1943) und Max Seydewitz (1892–1987) angeführten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD).
Exil, Widerstand und Rückkehr nach Deutschland
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ging Brandt, nun unter dem Pseudonym Willy Brandt, in den Untergrund. Am 2. April 1933 setzte er sich über Dänemark nach Oslo ab, nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 flüchtete er nach Schweden. 1938 entzog ihm das NS-Regime die deutsche Staatsbürgerschaft, 1940 wurde er norwegischer Staatsbürger. Im Exil reiste Brandt als Journalist für die norwegische Presse und Mitglied der SAPD-Exilführung inkognito durch Europa, u. a. nach Barcelona, wo er im Spanischen Bürgerkrieg die Methoden der Nationalisten und der Stalinisten scharf verurteilte. Seine radikale Auffassung des Sozialismus revidierte er unter dem Einfluss der skandinavischen Sozialdemokratie. Er wurde Sekretär der Kleinen Internationale in Stockholm und näherte sich der SPD an, in die er im Oktober 1944 in Stockholm wieder eintrat. 1945 kehrte Brandt als skandinavischer Journalist in das zerstörte Deutschland zurück. Er wurde 1947 der norwegischen Militärmission in Berlin zugeteilt, lehnte ein Angebot, in die USA zu gehen, ab und ließ sich in Berlin-West nieder, wo er sich der dortigen SPD-Führung anschloss. Wie andere Rückkehrer aus dem Exil war er kaum willkommen, konnte sich aber durch Dynamik und Überzeugungskraft durchzusetzen. Am 1. Juli 1948 ließ er sich unter dem Namen Willy Brandt in Deutschland wiedereinbürgern.
Politischer Weg von Berlin nach Bonn
Brandt berichtete 1948/49 als West-Berliner Vertreter für den SPD-Parteivorstand in Hannover und wurde anschließend in den West-Berliner SPD-Landesvorstand gewählt. Von 1950 bis 1969 war er Abgeordneter im West-Berliner Abgeordnetenhaus, 1955 wurde er zu dessen Präsidenten und 1957 zum Regierenden Bürgermeister gewählt. In diesem Amt engagierte er sich für die Sicherheit und Freiheit der Stadt und erhob, international wahrgenommen, die Stimme, als nach dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 seitens der Westalliierten keine Unterstützung für die Stadt erfolgte.
Parallel vertrat Brandt seit 1949 als sozialdemokratischer Abgeordneter im Deutschen Bundestag in Bonn den Stadtstaat Berlin-West. Von 1949 bis 1957 und von 1969 bis 1992 gehörte er als Abgeordneter der SPD dem Bundestag an. Seit 1958 Mitglied im Bundesvorstand und 1962 stellvertretender Bundesvorsitzender, übernahm er 1964 den Vorsitz der Partei. Unter seinem Einfluss und dem anderer reformorientierter Sozialdemokraten wandte sich die SPD im Godesberger Programm vom November 1959 vom orthodoxen Marxismus ab und akzeptierte die Soziale Marktwirtschaft. 1961 stimmte die Partei vorbehaltlos der Westintegration und der NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik zu. Brandt wurde zum Gesicht und zur Stimme der SPD. Er war neben Konrad Adenauer (1876–1967) einer der populärsten Politiker seiner Zeit. Von konservativen Gegnern, insbesondere von CDU und CSU im Wahlkampf 1961 u. a. wegen seiner unehelichen Geburt und der Emigration verleumdet und diffamiert, scheiterte er als Kanzlerkandidat bei den Bundestagswahlen 1961 und 1965. Mit der Bildung der Großen Koalition mit der CDU/CSU unter der Führung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904–1988) wurde Brandt Ende 1966 Bundesaußenminister und gestaltete die Entspannungspolitik mit, die 1963 mit dem Passierscheinabkommen in Berlin und der „Politik der Bewegung“ von Außenminister Gerhard Schröder (1910–1989) erprobt worden war. 1967 wurden Beziehungen mit Rumänien und 1968 mit Jugoslawien wiederaufgenommen.
Bundeskanzler 1969–1974
Nach der Bundestagswahl 1969 ließ sich die FDP überzeugen, mit der SPD trotz einer knappen Mehrheit für die beiden Parteien eine sozialliberale Bundesregierung zu bilden, womit Brandt der erste sozialdemokratische Kanzler der zweiten deutschen Demokratie wurde. Seine Amtszeit diente der Umsetzung eines Doppelprogramms, das er bereits 1969 in den Losungen konzentrierte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ und „Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein“.
In seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 stellte Brandt seine innenpolitischen Vorhaben einer gesellschaftlichen Liberalisierung und Einführung einer „sozialen Demokratie“ mit mehr Mitbestimmung und verstärkter Autonomie des Einzelnen in einem egalitäreren System vor. Seine Reformpläne waren konzipiert als Umsetzung von Eduard Bernsteins (1850–1932) Reformismus und als Antwort auf Forderungen aus der deutschen Gesellschaft, v. a. der Jugend nach der Protestbewegung von 1967/68, die Brandt wieder für den demokratischen Staat gewinnen wollte. Das Volljährigkeitsalter wurde auf 18 Jahre herabgesetzt, Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau gemacht, Ehebruch sowie Homosexualität entkriminalisiert. Zur Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungssystem unabhängig von Herkunft und Milieu wurde ein breit angelegtes Stipendiensystem (BAföG) geschaffen, der Bildungssektor quantitativ ausgeweitet und inhaltlich und organisatorisch teilweise neu gestaltet. Schließlich bezweckte das Reformprogramm die Modernisierung der staatlichen Strukturen unter Nutzung von Wissen und Technik durch die Einrichtung eines Planungsapparats und die Einleitung großer Projekte in den Bereichen Städte-, Wohnungs- und Straßenbau.
Wirtschaftlich waren die Jahre der Regierung Brandt keynesianisch geprägt, wobei Brandt an ökonomischen Fragen wenig interessiert war. Die Finanzierung der Reformen im Bildungswesen und in der Sozialpolitik wurde durch eine steigende Staatsverschuldung ermöglicht. Während der Kanzlerschaft Brandts erreichte die bundesdeutsche Sozialdemokratie nach 1945 hinsichtlich Mitgliederzahlen und Wahlerfolgen ihren Höhepunkt. Mit dem reformistischen Angebot zog Brandt ein neues Publikum an und wurde unterstützt von vielen Intellektuellen wie Günter Grass (1927–2015) und Heinrich Böll (1917–1985). Er wurde 1972 erneut zum Kanzler gewählt, nachdem ein Konstruktives Misstrauensvotum gegen seine Regierung im Bundestag gescheitert war – wie sich später herausstellte, wurde seine Mehrheit dank der DDR-Staatssicherheit gerettet, die die Stimmen zweier christdemokratischer Abgeordneter gekauft hatte.
Um sich vor dem Verdacht der Zusammenarbeit mit Kommunisten im Rahmen der deutsch-deutschen Gespräche zu schützen, beschloss die Regierung Brandt unter dem Druck der Union im Januar 1972 den sog. Radikalenerlass zur Überprüfung von Bewerbern für den Öffentlichen Dienst auf deren Verfassungstreue. Der als „Berufsverbot“ gedeutete Extremistenbeschluss trug zur Entfremdung eines Teils der linken Wählerschaft der SPD bei.
Friedenspolitik in Ost und West: „Neue Ostpolitik“
Brandt trieb die Einigung Europas voran und initiierte eine neue Ost- und Deutschlandpolitik als Politik der kleinen Schritte gegenüber den Nachbarstaaten im Ostblock mit dem Ziel, die Beziehungen zur Sowjetunion und v. a. zu Polen zu normalisieren und normierte Beziehungen zum „zweiten Staat in Deutschland“, der DDR, aufzubauen. Dabei übernahm er die Losung „Wandel durch Annäherung“ seines Beraters Egon Bahr (1922–2015) aus dessen Rede in der Evangelischen Akademie in Tutzing 1963 mit dem Ziel, mit der DDR in Gespräche zu kommen. Brandt traf im März und im Mai 1970 den Vorsitzenden des Ministerrats, Willy Stoph (1914–1999), weigerte sich jedoch, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen, da die Deutschen in beiden Staaten füreinander keine Ausländer seien. Die Verhandlungen mit der Sowjetunion und Polen führten 1970 zu zwei Verträgen. Anlässlich der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags am 7. Dezember 1970 überraschte Brandt die Weltöffentlichkeit mit seinem Kniefall am Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos. Der Grundlagenvertrag mit der DDR wurde fast zwei Jahre verhandelt und im Dezember 1972 unterzeichnet. Für diese Politik der Aussöhnung wurde Brandt 1970 von „Time Magazin“ zum „Mann des Jahres“ gewählt und 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Nach den gewonnenen vorgezogenen Neuwahlen 1972 wurde Brandts Regierung mit den Folgen des ersten Ölschocks von 1973 konfrontiert. Die daraus resultierende Wirtschaftskrise machte viele Reformvorhaben zunichte. In der Partei schwand der Rückhalt des Bundeskanzlers; er verlor insbesondere die Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner (1906–1990), der ihn mit abschätzigen Bemerkungen in Medien desavouierte. Am 24. April 1974 wurde sein von der DDR-Staatssicherheit eingeschleuster Mitarbeiter Günter Guillaume (1927–1995) als DDR-Spion enttarnt, worauf Brandt am 6. Mai 1974 als Bundeskanzler zurücktrat.
Ein „Elder Statesman“ auf internationalem Parkett
Nach seinem Rücktritt blieb Brandt als gewählter Abgeordneter tätig, von 1979 bis 1983 im Europäischen Parlament und nach den Wahlen von 1983, 1987 und 1990 als ältester Abgeordneter im Bundestag. Bis 1987, als er wegen der gescheiterten Nominierung einer Parteisprecherin zurücktrat, blieb er Parteivorsitzender der SPD und nahm oft stärker linksorientierte Positionen ein als sein Nachfolger, der SPD-Kanzler Helmut Schmidt (1918–2015). Brandt war von 1976 bis 1992 Vorsitzender der Sozialistischen Internationale und unterstützte insbesondere die Sozialisten in Spanien, Portugal und Lateinamerika. Überzeugt von der Notwendigkeit einer gerechteren Ordnung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, übernahm er 1977 bis 1984 die Leitung der von der Weltbank angeregten Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen, kurz Nord-Süd-Kommission. Er wurde auch zur Schutzfigur vieler ostdeutscher Dissidenten, die im September 1989 in der DDR eine sozialdemokratische Partei neu gründeten. Im Unterschied zu seinen Nachfolgern in der SPD-Führung wie Oskar Lafontaine (geb. 1942) und Gerhard Schröder (geb. 1944) sah Brandt im Fall der Mauer am 9. November 1989 und dem Ende der SED die historische Chance für die beiden Teile Deutschlands, dass schnell „ zusammenwächst, was zusammengehört“.
Einordnung und Nachwirkung
Brandts Vision des Sozialismus war geprägt von der Geschichte und dem Scheitern der Weimarer Republik sowie später von der Teilung Deutschlands im Kalten Krieg. Die Freiheit nahm in seiner Vorstellung vom Sozialismus einen zentralen Platz ein, sein Engagement für eine reformistische Partei beruhte auf der Ablehnung jedes doktrinären Ansatzes und seiner Entscheidung für einen demokratischen Sozialismus nach westlichen Freiheitswerten. Brandts Reformen markieren in der Geschichte des zweiten 20. Jahrhunderts eine Phase der Anpassung an die Veränderungen in der bundesdeutschen Gesellschaft. Brandt bleibt bis in das 21. Jahrhundert hinein eine bedeutende Orientierungsfigur der deutschen Politik jenseits der sozialdemokratischen Partei.
1959 | Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1960 | Großkreuz des Königlich Norwegischen Ordens des heiligen Olav |
1961 | Großes Silbernes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich (1973 in Gold) |
1965 | Dr. h. c., New School of Social Research, New York City |
1965 | Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik |
1968 | Großkreuz des isländischen Falkenordens |
1969 | Großkreuz des Ordens von Oranien-Nassau (Niederlande) |
1970 | Großkreuz des Dannebrogordens (Dänemark) |
1970 | Dr. h. c., University of Oxford |
1970 | Man of the Year, Time Magazin, New York City |
1971 | Friedensnobelpreis |
1971 | Großkreuz des belgischen Kronenordens |
1971 | japanischer Orden der aufgehenden Sonne 1. Klasse |
1971 | Dr. h. c., Yale University (New Haven, Connecticut, USA) |
1972 | Großkreuz des Königlichen Wasa-Ordens (Schweden) |
1973 | Großkreuz des Ordens der französischen Ehrenlegion |
1973 | Dr. h. c., Université de Strasbourg |
1973 | Dr. h. c., Weizmann-Institut für Wissenschaften, Rechovot (Israel) |
1981 | Goldmedaille der jüdischen Loge B’nai B’rith (New York City) |
1985 | Albert-Einstein-Friedenspreis der Albert Einstein Peace Prize Foundation, Chicago |
1986 | Orden El Sol del Perú |
1987 | Ehrenvorsitzender der SPD |
1990 | Ehrenvorsitzender der Ost-SPD |
1990 | Dr. h. c., Brown University Providence (Rhode Island, USA) |
1992 | Dolf-Sternberger-Preis der Dolf-Sternberger-Gesellschaft e. V. |
1994 | Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung der Bundesrepublik Deutschland |
2000 | Willy-Brandt-Preis der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung |
2005 | Willy-Brandt-Preis für Zeitgeschichte der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (zweijährlich) |
Nachlass:
Willy-Brandt-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. (weiterführende Informationen)
Forbrytere og andre Tyskere, 1946, dt. u. d. T. Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland, 1946, bearb. v. Einhart Lorenz, 2007.
Willy Brandt/Leo Lania, Mein Weg nach Berlin, 1960, finn. 1960, engl. 1960, dän. 1960, 21970, norweg. 1960, schwed. 1960, niederl. 1960, franz. 1960, span. 1960, japan. 1968, 21978. (Autobiografie)
Draußen. Schriften während der Emigration, hg. v. Günter Struve, 1966, 21976, norweg. 1967, engl. 1971, span. 1974, serbokroat. 1989.
Friedenspolitik in Europa, 1968, 31971, franz. 1969, engl. 1969, span.1970, schwed. 1970, ital. 1971.
Reden und Interviews, 2 Bde., 1971/73.
Über den Tag hinaus. Eine Zwischenbilanz, 1974, franz. 1976.
Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960–1975, 1976, niederl. 1977, span. 1976/77, finn. 1977, norweg. 1977, engl. 1978, franz. 1978, ital. 1979, chines. 1979. (Autobiografie)
Links und frei. Mein Weg 1930–1950, 1982, Neuausg.2012. (Autobiografie)
Erinnerungen, 1989, Neuausg. u. d. T. Erinnerungen. Mit den „Notizen zum Fall G.“, 2003, 2013.
„… was zusammengehört“. Reden zu Deutschland, 1990, 21993.
Willy Brandt. Im Zweifel für die Freiheit. Reden zur demokratischen und deutschen Geschichte, hg. v. Klaus Schönhoven, 2012.
Meik Woyke (Hg.), Willy Brandt und Helmut Schmidt, Partner und Rivalen. Der Briefwechsel (1958–1992), 2015.
Einhart Lorenz (Übers. u. Hg.), Willy Brandt. Die Kriegsziele der Großmächte und das neue Europa, 2018.
Einhart Lorenz (Übers. u. Hg.), Nach dem Sieg. Die Diskussion über Kriegs- und Friedensziele, 2023. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Werkausgabe:
Willy Brandt, Berliner Ausgabe, hg. v. Helga Grebing/Gregor Schöllgen/Heinrich August Winkler im Auftrag der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, 10 Bde., 2000–2009.
Tonträger:
Mehr Demokratie wagen. Reden und Interviews, Originalton, ausgew. v. Dorothee Meyer-Kahrweg, 5 CDs, 2013.
Monografien:
Einhart Lorenz, Willy Brandt in Norwegen. Die Jahre des Exils 1933 bis 1940, 1989.
Gregor Schöllgen, Willy Brandt. Die Biographie, 2001, 22023, japan. 2015. (P)
Peter Merseburger, Willy Brandt 1913–1992. Visionär und Realist, 2002, 22013. (P).
Willy-Brandt-Studien, hg. v. der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, 6 Bde., 2006–2019. (P)
Einhart Lorenz, Willy Brandt. Deutscher, Europäer, Weltbürger, 2012. (P) (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Bernd Faulenbach, Willy Brandt, 2013. (P)
Daniela Münkel, Bemerkungen zu Willy Brandt, 2013. (P)
Egon Bahr, „Das musst du erzählen“. Erinnerungen an Willy Brandt, 2013. (P) (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Bernd Rother (Hg.), Willy Brandts Außenpolitik, 2014. (P)
Hélène Miard-Delacroix, Willy Brandt. Life of a Statesman, 2016. (P)
Gunter Hofmann, Willy Brandt. Sozialist, Kanzler, Patriot. Eine Biographie, 2023. (P)
Lexikonartikel:
Eckhard Jesse, Art. „Brandt, Willy“, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949–1998, 2001, S. 166–180.
Bibliografie:
Verzeichnis von Werken und Sekundärliteratur auf den Seiten der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. (Onlineressource)
Denkmal (Bronze) v. Rainer Fetting (geb. 1949), Bundeszentrale der SPD, Wilhelmstr. 140, Berlin.
Gemälde (Öl/Leinwand) v. Oswald Petersen (1903–1992), 1985, Kanzlergalerie im Bundeskanzleramt, Berlin. (Onlineressource)
Fotografien, 1947–1992, in: Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)