Herme
Herme (altgriechisch ἑρμῆς hérmēs) bezeichnet in der antiken Kunst einen Pfeilerschaft mit aufgesetztem Kopf und Schultern. Ursprünglich diente ein schlichter Steinhaufen (ἑρμαῖον hermaíon) zur Markierung von Wegen,[1] dann auch eine steinerne Stele, die mit Phallus und Armansätzen versehen als Kultbild des bärtigen Wegegotts Hermes an Kreuzwegen und ähnlichen Orten aufgestellt wurde.
Geschichte
BearbeitenIn der Antike, schon in archaischer Zeit, gibt es Kopfbildnisse, die sich auf einer viereckigen Basis befinden, die einen verkürzten Pfeiler andeuten sollte, die nicht direkt mit dem Hermeskult zu tun haben. Diese sind nicht selten relativ klein und dienten auch als häusliches Kultobjekt. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. erschienen neben Hermes auch andere Götter in dieser Form. Die Bezeichnung Herme für Kopfbildnisse auf dieser vierkantigen Basis bleibt jedoch bestehen. Neben der privaten Verwendung sind Porträtköpfe als Herme auch Gegenstand öffentlicher Darstellung und Repräsentation. Ein gutes Beispiel ist die bekannte Themistokles-Herme von Ostia. Diese Basen nähern sich später zunehmend der Form der Büste an, die in der römischen Porträtkunst häufig verwendet wurde. Büsten haben zumeist einen angedeuteten Armansatz mit der Schulter, der bei der Herme gänzlich fehlt.
Zum Politikum wurden die Hermen im antiken Athen im Jahre 415 v. Chr. durch den Hermenfrevel.
Neben Politikern existieren Hermen auch unter anderem von Philosophen und Dichtern wie zum Beispiel von Theophrastos von Eresos, dem Lehrer des Menander.
Formen
BearbeitenEine Sonderform der Herme ist die sogenannte Doppelherme. Dabei sind zwei auf der Hermenbasis befindliche Köpfe jeweils mit dem Hinterkopf miteinander verbunden. Der römische Gott Janus erscheint häufig in dieser Form. Es kommt jedoch auch vor, dass berühmte Dichter in Doppelhermen dargestellt sind. Zum Beispiel gibt es eine Doppelherme im Römischen Nationalmuseum mit den Porträts des hellenistischen Menander und vermutlich eines Dichters der Alten Komödie. Da könnte vielleicht an Aristophanes gedacht werden, geklärt ist dessen Identität bislang noch nicht.
Tragende Steinpfeiler an Gebäuden, die am oberen Ende mit einem Frauenkopf abschließen, werden als Karyatidherme bezeichnet. Diese wiederum leiten sich von Karyatide und Herme ab. Anders als bei Karyatiden fehlt der Körper der Frauengestalt und diese ist hermenartig auf ihren Kopf und Schultern, ggf. den Oberkörper, reduziert. In der Architektur finden diese auch im 19. Jahrhundert im manieristischen Stil sowohl in repräsentativen Wohnbauten als auch in Immediatbauten Anwendung. Dabei wird geradezu kanonisch auf die Vorbilder der Karyatiden des Erechtheions auf der Akropolis in Athen zugegriffen, während ältere Typen der Kore hierbei vergleichsweise selten vorkommen. Es kommt auch ihr männliches Pendant, der Atlant, in dieser Form vor. Im Unterschied zur Karyatide ist er aber zumeist gänzlich unbekleidet.
Die Porträt-Herme wie auch die Porträt-Büste werden bis heute als Würdigung herausragender Persönlichkeiten an exponierten öffentlichen Orten oder Gebäuden aufgestellt. Häufig verwendet wird hierbei der teure italienische Carrara-Marmor, um hierdurch zusätzlich die Bedeutung der so geehrten Persönlichkeit herauszustellen.
Literatur
Bearbeiten- Debra Hamel: The mutilation of the Herms. Unpacking an ancient mystery. Hamel, North Haven 2012, ISBN 978-1-4750-5193-3 (populärwissenschaftlich).
- Regina Hanslmayr: Die Skulpturen von Ephesos: Die Hermen. Mit Beiträgen von Georg A. Plattner und Ursula Quatember (= Forschungen in Ephesos. Band X/2). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2016, ISBN 978-3-7001-8074-6 (online).
- Reinhard Lullies: Die Typen der griechischen Herme. Gräfe & Unzer, Königsberg 1931 (zugleich Dissertation, Universität Königsberg 1931).
- Robin Osborne: The erection and mutilation of the Hermai. In: Proceedings of the Cambridge Philological Society. New Series, Band 31, 1985, S. 47–73.
- Birgit Rückert: Die Herme im öffentlichen und privaten Leben der Griechen. Untersuchungen zur Funktion der griechischen Herme als Grenzmal, Inschriftenträger und Kultbild des Hermes. Roderer, Regensburg 1998, ISBN 3-89073-283-6 (zugleich Dissertation, Universität Tübingen 1992).
- Bärbel Ruhl: Die Entstehung der Hermen. In: Rita Amedick, Heide Froning und Winfried Held (Hrsg.): Marburger Winckelmann-Programm 2018–2019. Eigenverlag des Archäologischen Seminars der Philipps-Universität, Marburg 2019, ISBN 978-3-8185-0549-3, S. 111–117 (online).
- Adrian Stähli: Ornamentum Academiae. Kopien griechischer Bildnisse in Hermenform. In: Acta Hyperboraea. Band 4, 1992, S. 147–172.
- Henning Wrede: Die spätantike Hermengalerie von Welschbillig. Untersuchung zur Kunsttradition im 4. Jahrhundert n. Chr. und zur allgemeinen Bedeutung des antiken Hermenmals (= Römisch-Germanische Forschungen. Band 32). Walter de Gruyter, Berlin 1972, ISBN 3-11-002239-7.
- Henning Wrede: Die antike Herme (= Trierer Beiträge zur Altertumskunde. Band 1). Philipp von Zabern, Mainz 1986, ISBN 3-8053-0866-3.
- Henning Wrede: Die spätantike Herme. In: Jahrbuch für Antike und Christentum. Band 30, 1987, S. 118–148.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Otto Holzapfel: Lexikon der abendländischen Mythologie, Eintrag Hermes, Freiburg i. Br. 1993/2007, Lizenzausgabe: Anaconda Verlag, Köln, 2010.