Britain-Brain-Blog
Ruhm mit Stigma Stempel
Freitag, 10. Januar 2014
Neulich trafen wir einen psychiatrischen Weiterbildungsassistenten, der im
Fernsehen war. Zwar war er nur Ausschnittsweise zu sehen, aber unser "Star" gab
zu, seitdem häufig darauf angesprochen zu werden und dass es ihm fast schon ein
wenig unangenehm sei.
Anlass war eine British Broadcasting Corporation (BBC)
Dokumentation über eine Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP), die McGuiness Unit
in Prestwich. Unter dem Titel „Don’t call me crazy“ wurden dort Team und
Patienten über knapp ein Jahr immer wieder von Fernsehkameras begleitet und
sprachen über ihre Erfahrungen.
Mangels Fernseher habe ich nicht alles sehen können, aber
die Ausschnitte die ich gesehen habe, waren sehr intensiv und berührend,
gleichzeitig sehr respektvoll und informativ. Ich finde es mutig von den
Jugendlichen, sich in solch intimen und verletzlichen Momenten zu zeigen und bin
sicher, dass dies anderen Betroffenen helfen kann. Vor allem glaube ich, dass
solche umfassenden Einblicke in die Psychiatrie und deren Alltag helfen Ängste
und Stigma abzubauen.
(Stigma und seine Folgen)
Gleichzeitig habe ich mir Gedanken gemacht, welche Folgen es
für die Teenager hat oder haben könnte, so gezeigt zu werden: beim Stimmen hören,
nach Selbstverletzung, bei Depressionen oder Nahrungsverweigerung (bei Essstörungen). Während sie einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten,
befürchte ich doch, dass sie selber stigmatisiert werden.
Wenn es selbst
unserem ärztlichen Kollegen etwas unangenehm war, darauf angesprochen zu werden,
wie muss es sich anfühlen, wenn völlig Außenstehende über ICD-Diagnose und
Symptome informiert sind…noch bevor man ein persönliches Wort mit ihnen
gewechselt hat? Lohnt es sich, solche Pionierarbeit zu leisten, möglicherweise
trotz persönlichen Opfern. Ja und nein! Es ändert sich etwas, aber so
unheimlich langsam. Auch in Deutschland gab es um die Jahrtausendwende eine
ähnliche Dokumentation aus einer Hamburger Kinder- und Jugendpsychiatrie namens
„Ich bin doch nicht verrückt“ wie meine Google Recherchen ergeben haben.
Aber angekommen in der „Normalität“ angekommen ist die
Psychiatrie deshalb noch lange nicht. In jüngeren deutschen Serien mit
Weiterbildungsassistenten und deren Patienten wie „Junior Docs“ oder „Die
jungen Ärzte“ hat sich meinem Wissen nach noch kein Produzent an die
Psychiatrie herangetraut. Dabei benötigt gerade die Psychiatrie dringend Werbung,
im Allgemeinen und um ärztlichen Nachwuchs. Die Psychiatrie ist eben anders,
oder doch nicht?
Von den Abläufen her sicherlich. Die Krankheitsverläufe sind
sehr individuell, häufig komplex und nicht selten chronisch. Und trotzdem
bleiben Krankheiten Krankheiten, ob Diabetes oder Depression. Es ist gut, wie
sich die Betroffenen gegen den Stempel Stigma wehren und bezeichnenderweise
schon in den Titeln der Dokumentationen fordern nicht „verrückt“ genannt zu
werden.
Unser ärztlicher Kollege meinte abschließend, dass es für ihn auch
Vorteile hatte dabei zu sein, indem er Einblicke in eine Fernsehproduktion
gewann oder einen Eintrag für sein Portfolio sammeln konnte. Bleibt zu hoffen,
dass auch die Jugendlichen langfristig stolz und frei von Reue mitgemacht
haben.