Mehr in die Digitalisierung zu investieren – und zwar sowohl mit Blick auf finanzielle Mittel als auch auf die Bereitschaft, Neues auszuprobieren –, kann sich für Praxen lohnen. Dies zeigte der jüngste Praxissalon des Deutschen Ärzteblattes.
Die eigene Neugier bewahren, das gesamte Praxisteam mitnehmen und ausreichend in sinnvolle digitale Lösungen investieren: Diese Grundeinstellung zur Digitalisierung vertritt Dr. med, Ahmad Sirfy. Im Zusammenhang mit der Praxisübernahme im Jahr 2018 habe für ihn von Anfang an festgestanden, so viel Prozesse wie möglich digital abzubilden, betonte Sirfy im Rahmen der Veranstaltungsreihe Praxissalon des Deutschen Ärzteblattes. Hierbei verfolge er das Konzept einer „Hybridpraxis“.
Die skizzierten Probleme in der Region rund um das Ärztehaus Nymphenburg in München ähneln denen in anderen Teilen Deutschlands: viele Patientinnen und Patienten, eine hohe Belastung der Praxen und Schwierigkeiten bei der Nachfolge. Im Umkreis hätten in den letzten Jahren mehrere Hausarztpraxen geschlossen, so Sirfy. Dadurch habe sich das Patientenaufkommen nochmals verstärkt.
Schon allein aufgrund der spürbar wachsenden Belastung sei für ihn eine weitgehende Digitalisierung „selbstverständlich“. Nur so könne er den benötigten Fokus auf Effizienz und Arbeitsdichte bei zugleich möglichst geringer Belastung des gesamten Teams legen und diesen Anspruch auch erfüllen, betonte der Allgemeinmediziner.
Das Praxisteam, bestehend aus sieben Ärztinnen und Ärzten und vier Medizinischen Fachangestellten (MFA), werde in die stetige Weiterentwicklung der digitalen Prozesse und Strukturen einbezogen – für Sirfy ein wichtiger Erfolgsfaktor. Beispielsweise gebe es einmal wöchentlich ein Jour fixe zum Ideenaustausch und mehrmals im Jahr gemeinsame Workshops. Neben dieser Investition in das Personal gelte es auch, sich die eigene Neugier als Triebfeder zu erhalten. Man müsse bereit sein, im Versorgungsalltag etwas zu auszuprobieren und gegebenenfalls Ideen auch wieder zu verwerfen. „Irgendjemand muss anfangen zu testen.“
Mehr Eigenengagement
So könnten sich Ärztinnen und Ärzte auch noch mehr selber einbringen und IT-Anbietern helfen, gute digitale Lösungen für spezifische Versorgungsfragen zu entwickeln. Auch Technologiefirmen aus dem Gesundheitsbereich wüssten eben nicht automatisch genug über die ärztliche Berufsausübung. „Wenn wir warten, dass ITler miteinander sprechen und für uns ein Superprodukt entwickeln, können wir ewig warten“, sagte Sirfy. Sinnvoll könne auch ein noch stärkerer innerärztlicher Austausch zum Thema Digitalisierung sein – etwa in regionalen Communitys.
Generell werde seiner Einschätzung nach von den Praxen zu wenig in Digitalisierung investiert. Drei bis vier Prozent des jeweiligen Gewinns seien im Vergleich zu anderen Branchen nicht viel. Auch hier gelte es, innovativ zu denken: Für kleinere Einzelpraxen könnte es beispielsweise interessant sein, sich einen externen IT-Support zu teilen.
„Künstliche Intelligenz wird die ärztliche Arbeit revolutionieren.“
Dr. med. Ahmad Sirfy, Hausarzt in München
Seine Praxis nutzt unter anderem ein Self-Check-in für Patientinnen und Patienten – mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) – sowie ein Patientenleitsystem per Bildschirm in die jeweiligen Behandlungs- beziehungsweise Diagnostikzimmer. Dies entlaste die MFA erheblich, so Sirfy. Zur Entlastung am Tresen trage zusätzlich bei, dass die Telefonie komplett an Homeoffice-Tätige ausgelagert sei, die wiederum mittels einer KI-Assistenz Anrufe auch asynchron abarbeiten können. Zudem greift bereits etwa ein Viertel der Patienten auf die Praxis-App zurück – etwa um Dokumente wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) oder Befunde abzurufen sowie Termine zu vereinbaren. Diese Form der Arzt-Patienten-Kommunikation bewerbe man aktiv, da sie eine „Riesenerleichterung“ darstelle. So ermögliche beispielsweise das Konzept einer fast reinen Terminpraxis, die jeweiligen Wartezeiten auf normalerweise maximal zehn Minuten zu beschränken. Für die internen Arbeitsprozesse spiele das moderne und individuell angepasste Praxisverwaltungssystem (PVS) eine zentrale Rolle, betonte Sirfy. Neben einer weitgehend automatisierten Abrechnung von Leistungen unterstütze ein Dashboard mit allen eingehenden Dokumenten nebst Aufgabenplaner das Praxisteam. Dieses sei mit einer Arbeitszeitübersicht gekoppelt und ermögliche die Zuordnung von Versorgungsprozessen an den Hauptbehandler des jeweiligen Patienten beziehungsweise die MFA. Mit etwa 500 bis 600 Videosprechstunden pro Monat nutzt die Hausarztpraxis auch umfassend Telemedizin. Dies biete insbesondere den Vorteil, dass Atemwegsinfekte aus der Praxis gehalten werden können, so Sirfy. Perspektivisch erwarte er angesichts des zunehmenden Ärztemangels einen weiteren Zuwachs bei telemedizinischen Behandlungen – zumal andere Länder bereits zeigten, dass es geht.
Vorsichtiges Hoffen auf die ePA
Eher gemischte Erwartungen bestehen an die „ePA für alle“, wie die Diskussion zeigte. Der Informationsfluss werde sich hoffentlich mit der elektronischen Patientenakte (ePA) schnell und spürbar verbessern, äußerte Dr. med. Isabelle Petit, Internistin und Kardiologin, eine positive Erwartung. Derzeit lägen Vorbefunde oder auch Laborwerte oft nicht zum benötigten Zeitpunkt vor. Dr. med. Jörn Westhoff, niedergelassener Orthopäde und Unfallchirurg, bewertete zwar eine digitale Akte ebenfalls als grundsätzlich notwendig. Die Lasten seien aber unfair verteilt, da der Umsetzungsaufwand hauptsächlich an den Praxisteams hängen bleibe – hier zeige sich der Nachteil des Top-down-Ansatzes. ■
Dr. med. Ahmad Sirfy, Hausarzt in München